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Meinung: Der schwere Schatten der Macht

Putins Sieg hat viele Kehrseiten – Zeit für deutliche Worte aus dem Westen

So viel Stabilität war nie im neuen Russland. Auch nach der Präsidentenwahl bleibt alles beim Alten. Gerhard Schröders Duzfreund Wladimir Putin behält sein Amt. Für viele westliche Staats- und Regierungschefs ist das eine gute Nachricht. Putin hat die russische Außenpolitik berechenbarer gemacht – eine Wohltat nach all den Jahren, in denen ein oft impulsiver Jelzin das Ruder in der Hand hatte. Außerdem hat Putin sich nach dem 11. September demonstrativ an die Seite der USA und Europas gestellt, auch gegen Widerstände im eigenen Land.

Ohnehin ist es aus Sicht des Westens weitaus besser, den Pragmatiker Putin im Kreml zu wissen als etwa einen der rechten oder linken Nationalisten, die bei der Parlamentswahl im Dezember Erfolge feiern konnten. Und westliche Wirtschaftsvertreter loben den alten und neuen Präsidenten, weil er ein positives Klima für Investitionen geschaffen hat. Auch innenpolitisch wird mit Putin alles beim Alten bleiben – das war sein unausgesprochenes Wahlversprechen.

Doch die Kehrseite dieser Stabilität heißt Stillstand. Die dringend notwendigen demokratischen Reformen kommen in Russland nicht voran. Im Gegenteil: Vieles von dem, was in der Aufbruchstimmung der Zeit von Glasnost und Perestrojka erreicht worden ist, nahm Putin wieder zurück. Von Pressefreiheit kann in Russland heute kaum noch die Rede sein. In den wenigen unabhängigen Redaktionen geht die Angst um, so manch kritischer Bericht bleibt dabei auf der Strecke. Das Parlament ist weit davon entfernt, selbst Politik zu gestalten oder gar die Regierung zu kontrollieren. Die Justiz ist alles andere als unabhängig: Mitunter holt sich ein Staatsanwalt oder Richter in den Verhandlungspausen seine Anweisungen gar per Telefon ab. Und selbst die Regierung ist austauschbar, ohne dass der Wechsel spürbare politische Folgen hätte. Das hat Putin kurz vor der Wahl mit der Entlassung der Regierung Kasjanow bewiesen.

In den vergangenen vier Jahren hat Putin ein autoritäres Herrschaftssystem etabliert, das mal an die Zarenzeit, mal an die Sowjetunion erinnert. Der Kreml-Herr regiert praktisch ohne jegliche demokratische Kontrolle. Politische Entscheidungen werden, wenn nicht vom Staatschef selbst, vom Präsidialapparat getroffen. Die Partei „Einiges Russland“, selbst ein Geschöpf des Kremls, dient nur der Akklamation, wie einst die KPdSU. In der Gesellschaft kann man ohne (stillschweigende) Billigung des Kremls kaum noch etwas auf die Beine stellen.

Die so gewonnene Stabilität ist in Wirklichkeit ein Rückschritt, der Russland nur noch weiter von der Demokratie entfernt. Putin nimmt dies sehenden Auges hin – die „Diktatur des Gesetzes“ ist für ihn ein positiver Begriff, und Demokratie muss aus seiner Sicht „gelenkt“ werden. Ein System, das die gesamte Macht in die Hände eines Einzelnen legt, ist jedoch alles andere als stabil. Solange Putin nicht zulässt, dass sich demokratische Institutionen, kritische Medien und eine wirkliche Zivilgesellschaft entwickeln, ist es bis zu einer Diktatur nur noch ein Katzensprung. Spätestens 2008, wenn ein neuer Präsident das Amt übernimmt, könnte das unberechenbare Folgen haben.

Diese Entwicklung kann den westlichen Staats- und Regierungschefs nicht mehr egal sein. Schon jetzt gibt es beunruhigende Signale aus Russland: der Verzicht auf eine politische Lösung für Tschetschenien, die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze im Fall des früheren Ölkonzern-Chefs Chodorkowskij oder das jüngste Großmanöver der Atomstreitkräfte. Da wäre es längst an der Zeit für ein paar deutliche Worte an den Duzfreund Wladimir. Im Dialog mit Russland darf nicht mehr alles beim Alten bleiben: Europa und die USA müssen endlich damit aufhören, den schönen Schein der Stabilität höher zu bewerten als Demokratie.

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