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Meinung: Der strategische Gefreite

Soldaten als Fotografen: Die neuen Medien sind längst Teil des Krieges / Von Thomas Rid

Die Bilder von Bundeswehrsoldaten und deren makabren Spielen mit Totenschädeln in Afghanistan sind zweifellos obszön und unentschuldbar. Der Schaden für die Bundeswehr und für Deutschland ist angerichtet, in der Region und weltweit. Wie groß, bleibt vorerst offen. Doch darf in der Aufregung ein wichtiger Trend nicht aus dem Blick verlorengehen, in dem dieser Skandal nur eine Wegmarkierung darstellt. Die US-Streitkräfte nennen es die „neue Informationsumwelt“. Jeder Nutzer, nicht mehr nur Unternehmen oder Staaten, kann heute selbst Inhalte erzeugen und diese selbst veröffentlichen – auch vom Krieg. Mobiltelefone, Digitalkameras, Computer und Internetcafés haben entlegene Gegenden am Hindukusch und im Irak erreicht. Auf YouTube, einer Seite für Videoclips, sind Hunderte von Filmen von Irakern sowie von GIs zu sehen. Auf Flickr, einem öffentlichen Fotoalbum, werden Bilder des Krieges aus erster Hand zur Schau gestellt. Die „alten Medien“, etwa diese Zeitung, nutzen die „neuen Medien“ zunehmend als Quelle.

Die Effekte dieser neuen medialen Durchdringung des Krieges sind weitreichend. Bereits Ende der 90er Jahre, als jener Trend einsetzte, entwickelte Charles Krulak, ein General der US-Marineinfanterie, die Idee des „strategischen Gefreiten“. Im Krieg werden drei Ebenen unterschieden: Strategische Entscheidungen sind von nationaler Tragweite, operative Entscheidungen beziehen sich auf einen Gefechtsschauplatz, und taktische Entscheidungen betreffen kleinere Einheiten und Individuen. Kanzler, Minister und Generäle sind mit Strategie betraut, Unteroffiziere und Gefreite mit Taktik. In der Vergangenheit waren diese Ebenen klar voneinander zu trennen.

Nicht mehr heute. Mobiltelefone und Digitalkameras haben der sauberen Hierarchie einen senkrechten Strich durch die Rechnung gemacht. Der strategische Gefreite trifft eine einfache Entscheidung, und der Effekt trifft Parlament und Kanzleramt, noch nach Jahren.

Der Präzendenzfall hat sich 1993 in Somalia ereignet. Präsident Clinton hatte aufgrund von CNN-Berichten von 18 gefallenen Rangern den gesamten Einsatz beendet. Die nackte Leiche eines US-Soldaten wurde damals, mediengerecht, durch die Straßen von Mogadischu gezogen. Verbitterung war die Reaktion in den USA. Besonders der Kongress hat sich von den Bildern beeindrucken lassen.

Diese Skandalanfälligkeit hat sich drastisch verschärft. Abu Ghraib und der aktuelle Skandal haben eine neue Qualität jener Dynamik sichtbar gemacht: Die „alten Medien“, recherchierende Journalisten wie in Somalia, müssen gar nicht mehr Auslöser sein. Die Armee kann ganz alleine das skandalöse Material liefern. Soldaten und Zivilisten in Krisenregionen sind Teil der „neuen Medien“. Ihre Mobiltelefone und Internetcafés sind heute Bestandteil des Gefechtsfeldes. Nicht mehr wegzudenken und nicht mehr zu kontrollieren.

Die Bundeswehr muss sich richtig auf diese neuen Verhältnisse einstellen. Es wäre töricht anzunehmen, man könne durch bessere Kontrolle der Medien solche Skandale in Zukunft verhindern. Die Motivation der amerikanischen Streitkräfte, im Irakkrieg Journalisten einzubetten, weist in die richtige Richtung. Im Pentagon hat man 2002 verstanden, dass „neutrale, objektive Beobachter“ mehr Glaubwürdigkeit als offizielle Sprecher haben. Reporter wurden mit in den Krieg genommen, fast ohne Restriktion, um der negativen Darstellung des Gegners Bilder von gut ausgerüsteten und hochmotivierten Soldaten entgegenzusetzen. Wenn die Negativnachrichten unter Stress bereits aus den eigenen Reihen kommen, ist es umso wichtiger, durch Öffnung mehr Balance in der Darstellung herzustellen. Dann erst wird selbstverständlich, was heute einer Betonung bedarf: dass die überwiegende Mehrheit der Bundeswehrsoldaten harte und gute Arbeit unter hoher physischer sowie psychischer Belastung macht.

Abgeordnete sollten sich ebenfalls darauf einstellen. Der US-Kongress und seine Rolle bei der Beendigung des Somaliaeinsatzes weisen in die falsche Richtung. Heute ist klar, dass Aidid, der damalige somalische Kriegsherr, gezielte Maßnahmen ergriffen hat, um die für ihn nützlichen Bilder auf CNN ausgestrahlt zu sehen. Er war sich der strategischen Bedeutung der medialen Darstellung völlig bewusst. Redakteure und Abgeordnete sollten sich die strategische Bedeutung der jüngsten Bilder ebenfalls verdeutlichen: Es kann unmöglich sein, gleichzeitig objektiv und neutral zu berichten. Die Wahrheit ans Licht zu bringen, kann im Interesse einer Kriegspartei sein.

Dies soll nicht heißen, die Bilder hätten nicht veröffentlicht werden sollen. Um sich gegen kurzfristige, taktische Meinungsschwankungen zu immunisieren, sollte man jedoch seine langfristigen strategischen Interessen fest im Blick behalten.

Der Autor ist Postdoc-Fellow am Institut français des relations internationales (Ifri) in Paris.

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