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Meinung: Die Angelegenheit Angela

Frau und Macht: Eine Kanzlerin Merkel würde Deutschland verändern

Von Caroline Fetscher

Im Neuen verbirgt sich Verheißung wie Bedrohung. Und im Augenblick trägt das neue Deutschland ein unscheinbares Suffix: Kanzlerkandidat-in. Es folgt ein Fragezeichen: Was ist darin verborgen? Was ist drin – und für wen? „Er oder Sie“, fragt der „Spiegel“ auf dem Titelblatt, als ginge es um Sein oder Nichtsein.

In der Frage nach der Trägerin des prominenten Suffixes passiert allerdings viel mehr. Es lösen oder bilden sich Fronten, lockern oder verfestigen sich alte Konstellationen. „Angela, die Ehrliche“ bietet mit ihrem Status als Neuankömmling in der Sphäre der K-Frage den Raum für Projektionen, den das seit Jahrhunderten Gewohnte – Mann und Macht – nicht beanspruchen kann. In der Konfrontation mit Angela mutiert die SPD-Gattin Doris Schröder-Köpf zu einer Frau, die mit CSU-Argumenten daherkommt, wie dem, dass eine Frau ohne Geburtserfahrung nichts zum Thema Familie beitragen könne – während die Alternative und Vorkämpferin der Emanzipation, Alice Schwarzer, ihrerseits Angela aufs Schild und auf das „Emma“-Cover hebt. An der leicht biologistisch gefärbten Frontlinie dieser Frauenrechtlerinnen gibt es auf „Er oder Sie“ immer nur eine Antwort.

Schwerer tat sich die „taz“, die ein knappes Dutzend bekannter, weiblicher Persönlichkeiten um Angela kreisen und ihre Unsicherheit darüber verraten ließ, wen sie und was sie denn mit Angela bekommen würden. Neben beherzten oder erwartungsvollen Forderungen an die Kanzlerin in spe fanden sich Warnungen vor der ungeliebten Union, aber auch Rätselraten. Das Amphibische, Ambivalente, nahezu Überrumpelnde der Sensation, die wir Schub um Schub begreifen (Frau und Macht!?! Und dann noch: CDU?!?), öffnet in manchen Bastionen den Blick auf die Inhalte: Mensch und Macht. Aha. Es kommt weniger darauf an, wer was sagt. Sondern es kommt darauf an, was jemand sagt. Eine alte Erkenntnis. Aber im neuen Kleid, einem Kleid, das auch im konservativen Quartier noch mit Erstaunen und Staunen über sich selbst betrachtet wird. Denn nicht nur Schröders Hand verkrampft sich, wenn er, ganz Demokrat, und im Gestus der Ranggleichheit Merkels Hand hält, für das Foto, auf dem „Bild“ seine weißen Fingerknöchel ausmachte und vergrößerte.

So mancher patriarchalisch gesonnene Mann in Bayern oder Schleswig-Holstein kann sich hier sicherlich mit dem mutmaßlich entmachteten Mann identifizieren. Was ist geschehen? Wer hätte das gedacht: Leise summend trug, übertrug die Biene der Politik rotgrünen Blütenstaub auf eine konservative Pflanzung. Ausgerechnet in einer Partei, die Rita Süssmuth als Sozialistin beschimpfte, als sie einst für die Ganztagsbetreuung von Kleinkindern eintrat, in einer Partei, wo Loden-Stoiber mit einer Dirndl-Ehefrau an seiner Seite auftritt, ereignet sich jener mögliche Paradigmenwechsel, von dem nur Rot-Grün bisher offiziell laut und allein an den Rändern so richtig realistisch träumte?

Oder ist Angela die Katze im Sack, das Suffix irrelevant, und der nach einer CDU-Wahl übliche konservative Umschwung uns nur vorübergehend nicht vor Augen? Spannende Zeiten. Hat Schröder die Flinte, die er ins Korn warf, heimlich wieder aufgehoben? Ja, vielleicht. Aber traut man ihm noch zu, damit Tontauben zu treffen, etwa das Täubchen Angela, das er so spöttisch angelächelt hat, im Fernsehduell? Eher nein. Die Wahl mag entschieden sein. Jedenfalls, so man den Umfragen folgt, die ja auch schon mal getäuscht haben. Aber was für eine Angela Merkel wir wirklich bekommen, und was die Konstellation „Frau und Macht“ für die Entwicklung der kollektiven Psyche unserer Republik tatsächlich bedeutet, nein, das steht noch gar nicht fest.

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