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Angela Merkel ist auf Barack Obama im Moment wohl nicht sehr gut zu sprechen.

© dpa

Die deutsche Politik in der Abhöraffäre: Die NSA und unsere Lust an der Dramatisierung

Die NSA-Spionage erinnert an die Guillaume-Affäre. Der Vergleich ist tatsächlich sehr lehrreich. Damals allerdings war Deutschland aus eigener Kraft abwehrfähig - und die Politik verlor nicht so schnell die Contenance wie jetzt.

Ein Hauch von Guillaume liegt in der Luft. Das wird in diesen aufgeregten Tagen als Zitat aus Regierungskreisen kolportiert, wo man den historischen Vergleich mit der Spionagetätigkeit der NSA offenbar für treffend hält. Er ist alles andere als das.

Dennoch ist die Erinnerung aus zwei Gründen lehrreich. Erstens war die Bundesrepublik seinerzeit weder auf Überläufer (Edward Snowden) noch auf Medienberichte angewiesen, um den DDR- Agenten Günter Guillaume und die Machenschaften der Hauptverwaltung Aufklärung zu enttarnen, sondern Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz waren dazu selbst in der Lage. Deutschland war, im Unterschied zu heute, aus eigener Kraft abwehrfähig. Zweitens führte die Enttarnung des Maulwurfs, der als einer der engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler Willy Brandt gearbeitet hatte, nicht etwa zu einem deutsch-deutschen Zerwürfnis, sondern fiel in die Zeit kurz nach Unterzeichnung des Grundlagenvertrages. Auf dem Höhepunkt der Krise, fünf Tage vor dem Rücktritt Brandts, eröffnete Bonn sogar den Sitz der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der DDR in Ost-Berlin.

Die Entspannungspolitik durfte durch die Guillaume-Affäre nicht gefährdet werden. Beide Seiten bemühten sich intensiv um Schadensbegrenzung, niemand entwickelte jene dramatisierende Eskalationslust, die derzeit bis in deutsche Regierungskreise hinein grassiert.

Soll mit dem Fingerzeig auf Amerika womöglich auch abgelenkt werden? Schließlich lässt es sich, neben der leidenschaftlich betriebenen Schnüffeltätigkeit der NSA, durchaus als Skandal empfinden, wie naiv und technologisch rückständig die deutsche Spionageabwehr inklusive der deutschen Politik ist. Mehrere Minister – darunter Verteidigungsminister Thomas de Maizière – gaben jetzt zu Protokoll, schon seit langem damit gerechnet gehabt zu haben, abgehört zu werden. Zwar nicht von „unseren amerikanischen Freunden“, aber zum Beispiel von Russen und Chinesen. Dass sie dennoch, wie auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, regelmäßig von Handys telefonieren, die jeder halbwegs begabte Hacker anzapfen kann, zeugt von gefährlicher Bedenkenlosigkeit.

Selbst kühle Pragmatiker verlieren die Contenance

Atemberaubend ist auch, wie schnell selbst kühle Pragmatiker die Contenance verlieren und nun verbalradikal die Regierung von Barack Obama bedrängen. Da mutiert ein traditioneller Transatlantiker wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder über Nacht zu einem Spontilinken und meint: „Amerika muss sein Weltmachtgehabe gegenüber seinen Partnern ablegen.“ Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner fordert: „Wir sollten die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den USA auf Eis legen, bis die Vorwürfe gegen die NSA geklärt sind.“ Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich droht mit juristischen Schritten: „Abhören ist eine Straftat, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Wer weiß? Vielleicht träumen Amerikaner ja bereits davon, nur einmal mit jenem zwischenstaatlichen Respekt behandelt zu werden, den eine SPD-geführte Regierung vor knapp vierzig Jahren trotz der Guillaume-Affäre gegenüber der DDR aufbrachte.

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