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Moritz Döbler

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Die Grenzen des Wachstums

Moritz Döbler über das Einkaufsverbot an den Adventssonntagen

Die Religionsfreiheit ist in Gefahr, wenn in Berlin an allen Adventssonntagen eingekauft werden darf. Das ist die unlogische und weltfremde Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, dessen Urteil die Berliner nun an der empfindlichsten Stelle trifft: in der Wirtschaft nämlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Mauerbau ist die Industrie nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Das hat Folgen. Auch deswegen lebt jeder Fünfte in Berlin von staatlichen Transferleistungen – die Quote ist nicht zuletzt doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt und vier Mal so hoch wie in Bayern, weil industrielle Wertschöpfung fehlt.

Für Berlin sind deswegen heute der Tourismus und der Einzelhandel besonders wichtig. In der Adventszeit kommt beides zusammen, wenn die Läden, Kaufhäuser und Arcaden mit Schwaben, Dänen und Touristen von sonst woher überquellen. An Tauentzien und Ku’damm, in der Friedrichstraße und am Potsdamer Platz klingeln die Kassen auch für das Berliner Gemeinwohl. Der Dezember ist mit Abstand der wichtigste Monat für den Einzelhandel. Wenn das Weihnachtsgeschäft schief geht, ist das ganze Jahr im Eimer. In den USA hat man gerade erst den „Black Friday“ hinter sich – nicht einen Börsencrash, sondern den Tag des Jahres, an dem die Einzelhändler in die schwarzen Zahlen kommen, also anfangen, Geld zu verdienen. Viel anders ist es auch hierzulande nicht: Das ganze Jahr krebst der Einzelhandel rum; im Dezember muss es rund gehen.

Natürlich können und sollen Verfassungsrichter nicht rein ökonomisch argumentieren, und Kommerz darf auch nicht alles durchdringen. Aber dass ausgerechnet mit Blick auf diese Stadt mit der Bedeutung des Sonntags im Christentum argumentiert wird, wo doch Berlin das unchristlichste Bundesland der Republik ist, grenzt an missionarischen Eifer. Der grundgesetzliche Schutz des Sonntags muss ja keineswegs zwingend zu einem Einkaufsverbot führen. Ohnehin wird das höchstrichterliche Urteil der modernen Welt überhaupt nicht gerecht: Im Internet kann auch sonntags bis zum Umfallen geshoppt werden. Nur dass die Erlöse und die Steuereinnahmen im Zweifel eben nicht in die Hauptstadt des Prekariats fließen, die es so nötig hat.

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