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Gute Freunde soll niemand trennen? Auf dem EU-Afrika-Gipfel im vergangenen November hielten die EU, vertreten durch Ratspräsident van Rompuy (l.), und Libyen mit Staatschef Gaddafi (M.) noch Händchen.

© dpa

Die Haltung zu Libyen: Wacklig wie die Videos

Dass Gaddafi die eigene Bevölkerung terrorisiert, war bekannt. Irgendwie wird sich das aufklären, wenn man lange genug zusieht. Das war die Haltung des Westens zu Libyen - bis jetzt. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Es hört sich richtig an. Die Zeit der Worte sei vorbei, erklärte jetzt, wenn auch etwas hölzern klingend, Deutschlands Außenminister mit Blick auf Libyen. Überall in der Europäischen Union, bei der Nato, bei den Vereinten Nationen diskutiert man nun über Sanktionen gegen Muammar al Gaddafis kriminelles System. Gefordert werden ein Waffenembargo, Einreiseverbote für die libysche Führung, keine Einfuhr von Waren, die gegen die Bevölkerung verwendet werden können, das Einfrieren der Gelder Gaddafis auf seinen Konten im Ausland.

An der Grenze zu Ägypten, und nur dort, im Osten des Landes, erhält die Weltpresse derzeit eigene Bilder aus Libyen. Gaddafi-Land ist in weiten Teilen Gerüchteland. Lockt der Despot seine Killerbanden tatsächlich mit hohen Kopfgeldern für ermordete Demonstranten? Wie loyal sind seine Soldaten, seine Söldner im Westen des Landes? Wo verschanzt sich der bizarr agierende Staatschef, den Deutschlands Bundespräsident soeben als Psychopathen bezeichnet hat? Was genau geht in Tripolis vor sich, was in Bengasi? Wie organisiert ist der Aufstand gegen das Regime? Wacklige Videos, aufgezeichnet von Mobiltelefonen, zeigen gespenstisch leere Straßen, Tote, die am Wegrand liegen, und panische Menschenmengen.

Irgendwie wird sich das aufklären, wenn man lange genug zusieht, so nahm sich die Haltung des Westens bis gestern aus. Als könnte man abwarten, bis sich der Schlamm in einem Wasserglas am Boden setzt. Klar war und ist dabei das eine: Der Wüstendiktator geht mit mörderischen Mitteln gegen die eigene Bevölkerung vor. Hohe Beamte Libyens haben darum den Dienst quittiert, Bomberpiloten sind desertiert. Dass Gaddafi die eigene Bevölkerung terrorisiert, war bekannt, seit Langem. Aber es geschah leise, in Kerkern, wo das Regime Häftlinge anketten und verenden ließ, in den Institutionen, die von der Geheimpolizei kontrolliert werden. Trotz alledem wurde Libyen zum Mitglied des Menschenrechtsrats der UN erkoren – ein schlechter Witz der internationalen Politik.

Konfrontiert wird die westliche Politik jetzt noch einmal mit der gesamten, erschreckenden Blamage ihrer Position des pragmatischen Zynismus. Einen postmodernen Ölscheich und angeblich reuigen Terrorpaten hat man mit Waffen aus europäischer Produktion aufgerüstet. Dem Potentaten wurde finanziell gedankt, dass er geflüchtete Boatpeople aus Nordafrika ohne viel Federlesens bei sich „aufnahm“. Italien zum Beispiel konnte diese Unerwünschten direkt von der Insel Lampedusa in libysche Barackenlager ausfliegen, die teils noch aus der Zeit von Benito Mussolinis Besatzung stammten. Fantasielose, empathiearme bis rassistische Realpolitik bestimmt die Haltung des Westens gegenüber den meisten Regimen Nordafrikas.

Zwei Geiselgruppen bereiten denen, die entscheiden müssen, Sorge. Eine neue, eine alte: Einmal sind es die Europäer im Land, die nun möglichst aus der Konfliktzone heraus sollen, und dann, wie in den Jahren zuvor, die libyschen Landeskinder, die potenziellen Flüchtlinge, die möglichst dort bleiben sollen. Militärisches Intervenieren, heißt es entlang der gängigen Logik, sei unmöglich, solange „unsere“ Leute noch im Land sind, gefragt sei humanitäre Hilfe. Wer mit solcher Hilfe nicht, wie im Fall Ruanda und andernorts geschehen, einmal mehr die Täter vor Ort füttern und ausstatten will, der muss sich endgültig verabschieden vom Wegsehen.

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