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Die Methode Wallraff: Am eigenen Leib

Täter und Opfer, Schuld und Verdrängung, ein deutsches Dilemma. Wallraff verkörpert es. Er ist Deutschlands schlechtes Gewissen in Gestalt eines Medienstars.

Der Mann ist eine Marke. Seit 40 Jahren erzieht Günter Wallraff die Nation, indem er sich verkleidet, seit 40 Jahren enthüllt er deutsche Missstände, Ausbeutung und Diskriminierung. Wallraff, der Undercover-Agent der guten Moral, kämpft für die Erniedrigten und Beleidigten, für Billiglöhner, Gastarbeiter, Obdachlose, Schwarze. Er ist Deutschlands schlechtes Gewissen in Gestalt eines Medienstars. Als Somalier verkörpert er nun in seinem Film „Schwarz auf Weiß“ das Fremde in uns, im Verbund mit der Empörung über Rassismus in Deutschland. Hierzulande empört man sich gern über die eigene Schuld.

Wallraff, der Weltverbesserer. Für seine Missionarstätigkeit wird er belächelt, für seine Eitelkeit kritisiert. Dass es am Fließband oder im Callcenter nicht immer mit (ge-)rechten Dingen zugeht, wissen wir auch ohne Wallraff. Wir wissen es bloß nicht so genau. Wallraff liefert das Konkrete, die Geschichte, diesmal nicht als Einblick in das geschlossene System „Bild“ oder Lidl, sondern in den offen zutage liegenden alltäglichen Rassismus. Aber muss einer selbst das Opfer spielen, um Missetaten ans Licht zu bringen? Warum kommen die Opfer nicht selbst zu Wort? Viele Schwarze in Deutschland entrüsten sich deshalb über den Film.

Die Weißen entrüsten sich weniger. Leidensgeschichte aus erster Hand, vulgo: Betroffenen-Berichterstattung ist ein unbeliebtes, wenig glaubwürdiges Genre. Da glauben wir lieber dem Schausspieler, dem Mann mit der Maske, einem von uns, der mit seiner Schminke und dem Afrolook dem Kölner Karneval entsprungen sein könnte. Würde ein Amerikaner sich schwarz anmalen – sei es mit noch so politisch korrekten Absichten –, er würde in Erinnerung an die Minstrel-Shows (in der Weiße Schwarze parodierten) sofort des Rassismus bezichtigt. Wallraff hingegen gilt nach wie vor als Aufklärer, der am eigenen Leib ein Exempel statuiert. Was weniger gegen seine Methode spricht als gegen die Gesellschaft, auf die er sie anwendet.

Täter und Opfer, Schuld und Verdrängung, ein deutsches Dilemma. Wallraff verkörpert es: Er schlüpft unterwürfig in die Haut des Opfers und maßt sich an, den Tätern auf diese Weise die Leviten zu lesen. Es hat lange gedauert seit dem Holocaust, aber zum Glück gibt es inzwischen eine hohe Sensibilität, was den eigenen Antisemitismus betrifft, die Ausländerfeindlichkeit, die Neonazi-Gewalt. Bloß die Gründlichkeit dabei macht misstrauisch: Die Leviten möchten wir Deutsche uns nicht gerne von denen „ganz unten“ lesen lassen, von den Diskriminierten zum Beispiel, das erledigen wir lieber selbst. Damit die Nation vor denen da oben, vor dem Ausland zum Beispiel, gut dasteht. Auch für diesen besonders tüchtigen Empathie-Nachweis gibt es Wallraff. So verrät der Erfolg seiner Methode mit der geborgten Identität und der Überidentifikation mit den Schwachen ein latent autoritäres Denken.

Im Zeitalter des Infotainment befremdet der altmodische pädagogische Impuls; die Eulenspiegeleien eines „Horst Schlämmer“, von Sasha „Borat“ Cohen oder Michael Moore sind virtuoser, zynischer, selbstironischer. Fakt und Fake schillern, die Welt ist verwirrend. Auch das erklärt die Konjunktur von Wallraffs schlichtem Gut-Böse-Schema.

Bei aller Kritik, die Marke Wallraff hat nicht ausgedient. Jedenfalls nicht, solange der Debatte darüber selbst etwas Bigottes anhaftet. Solange mehr darüber geschimpft wird, dass er als Schwarzer in einen Zug voller Hooligans steigt, als über die Tatsache, dass es deutsche Züge gibt, in die ein Schwarzer besser nicht steigt.

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