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Meinung: Die Mörder sind unter uns

Ein paar Lehren – aus dem Verbrechen in Potsdam und dem Berliner Fall Sürücü

Zwei Kriminalfälle sorgen gleichzeitig für Erregung. Über Berlin und Potsdam hinaus. Dabei zeigen die beiden Verbrechen gleichsam spiegelverkehrt, welche Schwierigkeiten Deutschland mit der Integration von Einwanderern hat. Einmal der Mord innerhalb einer türkischen Familie an ihrer Tochter, die in Berlin nichts weiter als selbstbestimmt und selbstverständlich leben wollte. Und jetzt der mörderische Anschlag auf einen dunkelfarbigen Deutschen, der vor zwei Jahrzehnten aus Äthiopien zu uns kam und in Potsdam als Ehemann, Vater und Ingenieur lebt – in der Hoffnung bisher, auch dies frei und selbstverständlich zu können.

Wie viel allerdings zu solcher Selbstverständlichkeit noch fehlt, erweist sich auch daran, dass die Potsdamer Tat sogleich einem „fremdenfeindlichen“ Hintergrund zugeordnet wurde. Tatsächlich ist das Opfer deutscher Staatsbürger und den tragenden Normen unserer Gesellschaft wohl tiefer verbunden als die vermuteten Täter. Sie haben einen Mitbürger auf offener Straße angepöbelt und lebensgefährlich verletzt. Als rechte Rassisten. Damit sind sie in einer Gesellschaft, die sich auf Menschenwürde und Gleichberechtigung gründet, die eigentlich Fremden.

Am rassistischen Rand leben Menschen, die in diese Bundesrepublik ebenso wenig integriert sind wie ein anatolischer Einwanderer, der seine Töchter zwangsverheiratet oder, wenn sie nicht gehorchen, mit dem Tod bedroht. Nun hat Berlins Innensenator Körting die Kreuzberger „Ehrenmord“-Familie bereits zum Verlassen des Landes aufgefordert. Und dafür viel Beifall geerntet. So gedacht, müsste freilich der Potsdamer Innenminister Schönbohm auch den rassistischen Brandenburger Skins die Auswanderung empfehlen. Sie wäre gewiss ein Gewinn für Deutschland.

Die Parallele ist indes auch ernstlich lehrreich. Seit der Ermordung von Hatun Sürücü und dem Notschrei der Rütli-Schule wird bei uns immer offener über Blindheit, Fehler und Unterlassungen bei der Einwanderungs- und Integrationspolitik diskutiert. Mit als Erstes sollen jetzt Anreize und Sanktionen besser justiert werden. Sanktionen aber können hier nur solche des Rechtsstaats sein.

Dies ist auch bei der Schelte zu bedenken, die das Berliner Gericht im Fall Sürücü erfahren hat – selbst von türkischer Seite. Weil so genannte „Ehrenmorde“ traditionell im Familienrat beschlossen werden, reicht in der Türkei zu einer Verurteilung wegen Beihilfe offenbar schon ein landesüblicher Kollektivverdacht. Mit guten, nicht zuletzt historischen Gründen aber ist in Deutschland jede Art von strafrechtlicher Sippenhaftung untersagt. Für mögliche Beweise gegenüber den Brüdern oder Eltern des geständigen angeblichen Einzeltäters hätte es also mindestens einer Telefonüberwachung der Familie (mit entsprechenden Türkischkenntnissen der Ermittler) bedurft: eine Lehre für ähnliche Fälle.

Zu wenige Lehren haben dagegen Polizei und Justiz in der Vergangenheit angesichts rassistischer Gewalttaten gezogen. Vor allem in den neuen Bundesländern wurden Verbrechen wie das an dem farbigen Potsdamer Ingenieur oft nur als Körperverletzung verfolgt. Und selbst bei schlimmsten Folgen nicht als Mord, allenfalls als Totschlag geahndet. Die meist jungen Täter waren ja „unsere Kinder“ und wurden, weil arbeitslos oder alkoholisiert, fast noch zu Opfern erklärt. Obwohl sie Köpfe zertrümmern, Körper verstümmeln, Leben, selbst wenn die Opfer nicht sterben, zerstören. Wer das tut, weiß indes, was er tut. Sogar ohne Schulabschluss. Die Mörder sind Mörder, und noch immer unter uns.

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