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Meinung: Die Nato sind wir alle!

Deutschland braucht keine Ermahnungen zum Afghanistaneinsatz

Es ist schon erstaunlich: Deutschland wird wegen seines angeblich zu geringen Engagements in Afghanistan kritisiert. Der Generalsekretär der Nato glaubt Deutschland öffentlich ermahnen zu müssen – obwohl er weiß, dass Deutschland der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan ist. Es erfüllt alle dort übernommenen Verpflichtungen – unsere Soldaten tun das mit großer Verantwortung und mit Umsicht.

Die Bundesregierung hat recht: Die Soldaten der Bundeswehr werden auch in Zukunft im Rahmen des Parlamentsmandats handeln. Das schließt Einsätze, auch außerhalb des deutschen Zuständigkeitsbereichs, zeitlich begrenzt, ein. So haben es unsere Soldaten auch bisher schon gehalten. Das Mandat schafft Klarheit für unsere Soldaten und für unsere Partner. Mandatierung ist ein Recht, das alle Partner für sich in Anspruch nehmen.

Es gibt mehrere Gründe für die extrem schwierige Lage im Süden und Osten Afghanistans. Einer davon ist die Tatsache, dass dort erst seit kurzem mit Stabilisierungs- und Hilfsmaßnahmen begonnen worden ist – und auch das nur zögerlich.

Unsere Soldaten sind von Anfang an nicht nur als Sicherungskräfte, sondern auch als Aufbauhelfer aufgetreten und das mit einem wohldurchdachten, von der Bevölkerung begrüßten Konzept.

Es wäre verheerend, die Stabilisierungspolitik im Norden durch Abzug von deutschen Soldaten aufs Spiel zu setzen. Solche Ideen erscheinen eher als Aktionismus. Jedenfalls sind sie Ausdruck von Ratlosigkeit und Konzeptlosigkeit.

Das führt zum Kern des Problems. Dieses liegt im Falle Afghanistans nicht am Einsatzbereich der Bundeswehr, sondern im Fehlen eines zukunftsorientierten Konzepts des Bündnisses. So wie es an einem Gesamtkonzept der Nato in einer grundlegend veränderten Welt fehlt.

Die Nato hat sich im kalten Krieg hervorragend bewährt. Deutschland hat damals den größten politischen und militärischen Beitrag aller Europäer geleistet. Es gab eine durchdachte, langfristig angelegte politische Strategie des Bündnisses, die die friedliche Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas zum Ziel hatte: Durch Festigkeit, durch gesicherte Verteidigungsfähigkeit und durch den Willen zur Zusammenarbeit mit dem Osten. Was wir heute brauchen, ist ein immer wieder angemahnter Harmelbericht II.

Das heißt zuallererst: Die Nato muss wieder zum Ort der Entscheidungen der transatlantischen Partner werden. An Solidarität fehlt es sicher nicht. Nach dem 11. September 2001 haben die europäischen Nato-Partner ihren amerikanischen Verbündeten uneingeschränkte Solidarität versichert. Zum ersten Mal wurde der Bündnisfall erklärt. Es ist hier nicht der Ort, sich mit der von Anfang an vorhersehbaren Entwicklung im Irak zu befassen. Der britische Premierminister Blair hat dazu jüngst aufschlussreiches gesagt. Nur so viel: Die damalige Abwendung der USA vom Bündnis der Verlässlichen und Fähigen und die Hinwendung zu einer Koalition der Willigen war ein Fehler.

Jetzt müssen Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit der Allianz auf der Grundlage eines umfassenden Gesamtkonzepts und daraus folgend eines Konzepts für Afghanistan wiederhergestellt werden. Es geht um die Zukunft der Nato, auf die kein Bündnispartner verzichten kann und auch nicht sollte. Die Nato sind wir alle. Auch in Zukunft kann Sicherheit ohne angemessene militärische Fähigkeit nicht garantiert werden, aber für globale Stabilität ist mehr erforderlich. Militäreinsatz darf nicht zum beliebigen Mittel der ersten Wahl werden. Das verlangt partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Regionen der Welt und mit den großen globalen Akteuren. Eine Weltordnung, die überall als gerecht empfunden werden kann, entzieht dem Terrorismus das Umfeld, das er braucht.

Der Nato-Gipfel kommende Woche in Riga sollte Ausgangspunkt eines solchen Konzepts werden. Das Ziel muss globale Zusammenarbeit auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit in der entstehenden multipolaren Weltordnung sein. Regional denkt offensichtlich die Baker-Kommission für den Irak in die gleiche Richtung.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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