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Meinung: Die Not ist groß, der Mythos größer Letzte Diktatoren (2): Warum Fidel Castro noch immer regiert

Autoritäre Regimes gibt es viele, weit mehr als Demokratien unter den rund 190 Staaten der Erde. Doch eine Gattung, die vor 15 Jahren weit oben rangierte, ist heute fast vom Aussterben bedroht: die kommunistische Diktatur.

Autoritäre Regimes gibt es viele, weit mehr als Demokratien unter den rund 190 Staaten der Erde. Doch eine Gattung, die vor 15 Jahren weit oben rangierte, ist heute fast vom Aussterben bedroht: die kommunistische Diktatur. Gewiss, zu sozialistischer Rhetorik greifen noch einige Herrscher. Aber der reinen Lehre folgen mag nicht einmal mehr die chinesische KP. Nur einer ist geblieben von den überzeugten Revolutionären des internationalen Proletariats: Fidel Castro.

An diesem Wochenende fehlte er erstmals bei der Eröffnungssitzung des Volkskongresses – was ihm noch nie passiert sei, „nicht eine Minute, nicht eine Sekunde“, wie der maximo lider den Genossen mit zornigem Verweis auf die Tyrannei der Ärzte schrieb. Aber dass die Gesundheit den 76-Jährigen mal ein paar Tage an der Arbeit hindert, ist weniger erklärungsbedürftig als die Frage – warum er überhaupt noch regiert?

Ökonomisch grenzt es an ein Wunder, dass das sozialistische Kuba überlebt hat, elf Jahre nach der Auflösung der UdSSR, die Castro den Rohrzucker über Weltmarktpreis abkaufte und dafür Rohöl und Industrieanlagen unter Weltmarktpreis lieferte (wenn auch oft unzuverlässig und in minderwertiger Qualität).

Die Versorgung ist nach einem Jahrzehnt „Sonderperiode“ dürftig, ein breiteres Angebot gibt es nur in Dollarläden, selbst Klopapier nur gegen Währung des Feindes Nr. eins. Die alten Amischlitten auf den Straßen mögen gut sein fürs Tourismusbild der Insel, die Durchschnittskubaner sind unfreiwillig zu einem Volk der Radfahrer geworden. China liefert das Modell und die Fabriken. 90 US-Cent kostet ein Liter Benzin – bei Durchschnittslöhnen von zehn Dollar. Zuverlässiger öffentlicher Transport zwischen Stadt und Land fehlt ebenfalls. Gäbe es nicht seit einigen Jahren wieder private Bauernmärkte (die Castro Anfang der 90er nach einem Probelauf wieder verboten hatte, weil sie angeblich zu viele Millionäre produzierten, die von Ausbeutung leben): Viele müssten hungern.

Ohne den Tourismus, inzwischen erste Devisenquelle, und die Überweisungen der Exilkubaner (direkt dahinter) wäre Castros und Che Guevaras Modell an wirtschaftlicher Schwindsucht gestorben. Aber es ist eine Öffnung wider Willen – für die der neue Dreisatz des Fidelismus steht: Das Volk will es nicht, die Partei will es nicht, auch ich will es nicht, aber wir werden es machen müssen. Privatrestaurants sind auf zwölf Plätze in der eigenen Wohnung beschränkt, ein werbendes Türschild wird nicht gern gesehen.

Die Unzufriedenheit über den mühsamen Alltag kommt offen zur Sprache. Und doch herrscht keine Endzeitstimmung wie in Osteuropa vor 1989. Stolz ist nach wie vor spürbar auf das kubanische Modell nach der Revolution von 1959 gegen das von den USA gestützte Regime Batista. Stolz auf Bildung für alle – auch wenn es schwer ist, Kulis oder auch nur Bleistifte zu bekommen. Stolz auch auf das in der Region weit überdurchschnittliche und im Prinzip kostenlose Gesundheitswesen mit Filialen bis in die Dörfer – auch wenn man, wie es heißt, besser Dollars dabei hat, falls man auf spezielle Medikamente, eine aufwändige Behandlung oder die Überweisung in ein Krankenhaus angewiesen ist.

Natürlich, es ist auch der Druck des Regimes, der verhindert, dass es zu auffälligen Protesten kommt. Und wenn sich doch Potenzial sammelte, hat Castro die Unzufriedenen zur Ausreise gedrängt. Aber für die Masse des Volkes ist der Mythos der gerechten Revolution offenbar auch heute im Zweifel größer als der Unmut. Wandel, selbst eine radikale Anpassung an die ökonomische Realität wird schon gewünscht – doch erst nach Castro. Er hat seinen Job relativ sicher, solange er selbst das will. Sein Nachfolger aber setzt sich auf einen Schleudersitz.

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