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Nach dem Zensus hat Berlin fast 180000 Einwohner weniger.

© dpa

Berlin fehlen hunderte Millionen Euro: Die Panik nach dem Berliner Zensus-Schock

Berlins Bevölkerung ist statistisch gesehen geschrumpft. Jetzt fehlen hunderte Millionen Euro, auch in Zukunft ist die Stadt auf Hilfen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen angewiesen. Der Senat sollte deshalb von dem Ziel abrücken, schon 2015 keine neuen Schulden mehr zu machen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Das Internationale Congress Centrum (ICC) muss nicht saniert werden. Es lässt sich abschließen und mit Efeu beranken. Den Bau der neuen Landesbibliothek kann der Berliner Senat auf unbestimmte Zeit verschieben, die Beamten können auf höhere Einkommen verzichten, die Straßen bleiben voller Schlaglöcher und Bildung und Forschung werden in der Hauptstadt des Wissens auf Diät gesetzt.

So ungefähr sehen die Vorschläge aus, die nach dem Zensus-Schock kursieren. Berlins Bevölkerung schrumpfte über Nacht um fast 180 000 Menschen, entsprechend die Ansprüche aus dem Länderfinanzausgleich. Seitdem ist Rudi Ratlos unterwegs und schürt Panik. Um Handlungsfähigkeit zu simulieren, verbreiten Senat und rot-schwarze Koalitionsparteien wirre Sparideen, die in der Summe geeignet sind, die Grundsubstanz Berlins zu zerstören und Rechtsansprüche der Bürger gegenüber dem Staat mit einem Federstrich zu streichen.

Die Opposition wiederum schweigt betroffen. Manchmal ist es eben klug, nicht so zu tun, als sei man klüger als die anderen Dummen. Immerhin geht es darum, 940 Millionen Euro aufzutreiben, die den anderen Ländern zurückgezahlt werden müssen. Außerdem muss Berlin ab 2014 jährlich auf 470 Millionen Euro aus dem Finanzausgleich verzichten. Alle kratzen sich jetzt verlegen am Kopf, von der CDU bis zu den Piraten, und fragen: Was nun?

Die Frage lässt sich beantworten, wenn man einen anderen Blickwinkel wählt. Zwar werfen die neuen Daten der Bevölkerungsstatistik die Haushaltskonsolidierung des vergangenen Jahrzehnts um einige Jahre zurück. Aber – eine mittelschwere Wirtschaftsflaute oder das Ende der historisch einmaligen Niedrigzinsphase, die auch hohe Schuldenberge bezahlbar macht, hätte Berlins Einnahmen wahrscheinlich noch mehr geschmälert.

Gleiches gilt für die anstehende Reform des Länderfinanzausgleichs. Die Hauptstadt wird sich darauf einstellen müssen, dass Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ab 2020 weniger Geld überweisen. Auch dieses Finanzrisiko bewegt sich im dreistelligen Millionenbereich. So gesehen sind der Zensus und dessen böse Folgen nur ein Warnsignal für das, was auf die Hauptstadt noch zukommen könnte. Nicht muss, aber könnte.

Schaut man so auf das Problem, wird eines klar: Berlins Finanzen sind stabil und gut gerüstet für die Schuldenbremse, solange Konjunktur und Finanzpolitik ideale Rahmenbedingungen bieten. Bei Sturm und Hagel aber bricht das Gerüst zusammen. Berlin kann solchen Unwettern nicht aus eigener Kraft standhalten. Der Stadt fehlt es noch auf lange Sicht an einem robusten Wirtschaftspotenzial, um an die Steuerkraft von Hamburg oder München heranzukommen.

Solange das so bleibt, ist die Stadt auf massive Finanzhilfen der bundesstaatlichen Gemeinschaft angewiesen. Und deshalb kann Berlin auch die Folgen des Zensus nicht einfach so wegdrücken. Vielleicht lassen sich noch hundert Millionen Euro einsparen, ohne die Stadtsubstanz zu schädigen. Aber kaum mehr. Der Senat sollte stattdessen vom Ziel abrücken, schon 2015 keine neuen Schulden mehr zu machen. 2020 reicht auch.

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