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Meinung: Die Parallelwelt der Politiker

Warum der Streit um die Zuwanderung nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat

Von Robert Birnbaum

Das Spiel ist aus, sagt Grünen-Chef Bütikofer. Das Spiel darf nicht aus sein, jedenfalls nicht auf diese Weise, sagt Otto Schily. Enden so die Verhandlungen über ein Zuwanderungsgesetz, dieses einstige Zukunftsprojekt erster Ordnung – als Farce? Es sieht danach aus, ziemlich egal, was noch kommt; ziemlich egal auch, ob Schilys düstere Spontanprognose sich erfüllt und der Konflikt die Koalition in die Krise treibt. Es ging ohnehin schon seit Monaten nur noch um einen Minimalkonsens. Jetzt soll also nicht einmal der mehr möglich sein?

Darüber, wer die Schuld an der verfahrenen Situation trägt, kann man lange streiten. Tatsächlich hat jede Seite nach Kräften dazu beigetragen, dass die Verhandlungen nicht einfacher wurden. Ein bisschen grob vereinfacht lässt sich festhalten: Die Union hat die Gespräche über das Zuwanderungsthema, das den meisten in CDU und CSU ohnehin nicht recht schmeckte, umfunktioniert in den Versuch, auf diesem Umweg ihr Anti-Terror-Paket zu verwirklichen. Die Koalition hat ihr diesen Versuch schon dadurch leicht gemacht, dass sie intern höchst uneinig war. Dieser Uneinigkeit hat zuletzt Schily die Krone aufgesetzt mit seinen unfertigen öffentlichen Überlegungen über Sicherungshaft für Terrorverdächtige – die Union hat den Ball flugs aufgegriffen und sich die Forderung zu Eigen gemacht. Die Grünen schließlich haben sich allzu willig in die Gutmenschen-Ecke begeben und sind dem Konflikt mit Schily aus dem Weg gegangen. So bleibt am Ende nur der große Kanonendonner.

Das Dumme bei alledem ist, dass keine der beteiligten Seiten sich mit dieser Aufführung einen Gefallen tut. Gewiss, kurzfristig mögen sogar alle von einem Scheitern profitieren. Die Grünen könnten sich endlich wieder einmal als das fühlen, was sie seit ihrer Gründung immer zu sein beanspruchten, als Stimme der Flüchtlinge und Ausländer, als Fürsprecher eines weltoffenen Deutschland. Damit lässt sich wahlkämpfen. Die SPD mag sich heimlich darüber freuen, dass sie das Thema vom Halse hat. Die sozialdemokratische Basis hält von Zuwanderung nämlich so wenig wie die christdemokratische Basis, schon weil beide im Ausländer bloß den Konkurrenten am Arbeitsmarkt sehen. Damit lässt sich, ein bisschen verdeckt, ebenfalls wahlkämpfen. Die Union mag sich damit brüsten, eine unmittelbar drohende multikulturelle Gesellschaft heldenhaft verhindert zu haben. Damit lässt sich ganz prima wahlkämpfen.

Nur mit der Wirklichkeit hat das alles nicht viel zu tun. Die Wirklichkeit ist die, dass Deutschland dabei ist, ein Stück seiner Zukunft zu verspielen. Schon heute gelten wir außerhalb der Landesgrenzen als grotesk abgeschlossene Gesellschaft. Wir bekommen es gerade noch fertig, begabte junge Menschen aus fremden Ländern an unseren Universitäten studieren zu lassen. Aber nach dem Diplom werfen wir sie flugs wieder hinaus. Unsere Wirtschaft leidet unter einem Mangel an Facharbeitern. Wir führen Feuilleton-Debatten über Patriotismus statt für Abhilfe zu sorgen.

Kurz: Alles, was jetzt versäumt wird an einer zeitgemäßen Modernisierung unseres Ausländerrechts, werden wir in fünf, in zehn Jahren nachholen müssen – dann allerdings zu höheren Kosten und mit weit geringerer Wirkung. In der Union sehen das einige, aber sie sagen es nur noch halblaut. Dass es klug wäre, das Thema von Rot-Grün abräumen zu lassen, bevor man selber an die Regierung kommt, sagt gar keiner – so weit denken sie bei CDU und CSU nicht. In der SPD sehen einige die Notwendigkeit; aber auch sie haben widerspruchslos hingenommen, dass Zuwanderung unter Innen- und Gesellschaftspolitik verhandelt wird, nicht als Frage der Ökonomie. Bei den Grünen sehen es viele, aber ihre Stimme zählt wenig. Das Spiel ist aus? Es ist aber kein Spiel. Es ist ganz ernst.

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