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Meinung: Die Plutonium-Falle

Die japanische Atomindustrie ist zu einem globalen Risiko geworden/ Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die Meldung wäre Anfang September beinahe in den Hiobsbotschaften von Hochwasser und drohendem Irak-Krieg untergegangen: Fünf Spitzenmanager der japanischen „Tokyo Electric Power Co.“ (TEPCO) mussten zurücktreten, weil Fehler in Atomanlagen verheimlicht und Prüfberichte gefälscht wurden – angesichts des ohnehin angeschlagenen Rufes der Branche war das scheinbar keine weltbewegende Nachricht.

Dann sickerten jedoch die Einzelheiten eines Skandals durch, den selbst die argwöhnischsten Atomgegner so nur in Staaten der ehemaligen Sowjetunion für möglich gehalten hätten. Über mehrere Jahrzehnte hat die TEPCO, immerhin der größte private Stromversorger der Welt, Fehler in ihren Kernkraftwerken systematisch vertuscht. Ignoriert wurden unter anderem Risse in den Edelstahl-Ummantelungen der Reaktorkerne: Eine Verschiebung der Geometrie dieser Stabilisierungshülsen könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass der Reaktor sich nicht mehr herunterfahren ließe und die als „SUPER-GAU“ gefürchtete Kernschmelze einsetzen würde. Wie sich jetzt herausstellte, hat auch das für die Reaktorsicherheit zuständige Ministerium von den Rissen gewusst, ohne einzuschreiten.

Die verschwiegene Allianz von Atomindustrie und Politik hat gute Gründe. Der – nach den USA und Frankreich – drittgrößte Kernenergieproduzent besitzt nur sehr geringe Uranvorkommen. Deshalb hielt der Inselstaat jahrelang an einer teuflischen Technologie fest, die von fast allen Industrieländern fallen gelassen wurde: Der Plutoniumproduktion in „Schnellen Brütern“. In normalen Atomkraftwerken entstehen nur geringe Mengen Plutonium als Nebenprodukt der Kernspaltung von Uran. Ein „Schneller Brüter“ erzeugt jedoch mehr Plutonium, als er spaltbares Uran verbraucht. Das Plutonium wird in einer Wiederaufbereitungsanlage gewonnen und mit – nicht spaltbarem – Natururan zu „Mischoxid“ (MOX) vermengt, das dann wieder als Kernbrennstoff im Brüter verwendet werden kann. Durch diesen „Plutoniumkreislauf“ könnte Japan mit minimalem Uraneinsatz fast unbegrenzt Energie erzeugen – zumindest in der Theorie.

Praktisch hat das Plutonium-Füllhorn jedoch noch nie funktioniert. Wegen technischer Probleme, gigantischer Kosten und erheblicher Sicherheitsrisiken haben Deutschland, die USA, Belgien und Frankreich den Ausstieg aus dieser Technologie beschlossen. Auch in Japan ist der einzige „Schnelle Brüter“ mit n „Monju“ seit 1995 abgeschaltet, nachdem flüssiges Natrium auslief und einen Brand verursachte.

Ohne „Schnellen Brüter“ und ausreichende Wiederaufbereitungskapazität bleibt Japan nur ein gefährlicher Ausweg: Das Plutonium wird in Frankreich und Großbritannien aus den abgebrannten Uranstäben herausgelöst, um den halben Globus zurück geschifft und in gewöhnlichen Leichtwasser-Reaktoren eingesetzt. Anliegerstaaten und Umweltschützer protestieren regelmäßig gegen die wahnwitzigen Weltreisen des radioaktiven Supergiftes. Tokio sitzt deshalb auf einem gigantischen Überschuss von mindestens 30 Tonnen Plutonium. Im April protzte ein japanischer Oppositionspolitiker sogar damit, dass Japan daraus „mehrere Tausend Atombomben“ bauen könnte.

Aus diesen Grund dürften die Gegner des japanischen Plutoniumabenteuers demnächst einen mächtigen Unterstützer bekommen: Die USA wollen die zivile Nutzung von Plutonium am liebsten weltweit beenden – aus Angst, der bombentaugliche Stoff könnte in die falschen Hände geraten.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg. Foto: J. Peyer

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