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Stuttgart 21: Die Politik steht im Sprühregen

Die Landesregierung, der Bürgermeister, die Einsatzleitung, sie alle haben noch überhaupt nicht verstanden, dass der Protest in Stuttgart anders ist als das, was sie aus Gorleben und Kreuzberg zu kennen glauben. Durch den Polizeieinsatz radikalisiert die Regierung in Stuttgart den Widerstand.

„Nichts, aber auch gar nichts“ sei auszusetzen am Polizeieinsatz gegen die Demonstranten im Stuttgarter Schlosspark, meint der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft und nennt das Verhalten der Beamten „angemessen und vernünftig“. Der Innenminister Heribert Rech kann „keinerlei Anhaltspunkte für Fehlverhalten der Polizei“ erkennen; verletzt worden seien nur Demonstranten, „die unmittelbar auf Konfrontationskurs gegangen“ seien. Die Verkehrsministerin Tanja Gönner schiebt alle Schuld auf die Demonstranten, die „bewusst Kinder nach vorne geschoben“ hätten.

So sieht es also aus: Ganz Stuttgart demonstriert, das Bürgertum gegen den Bahnhof, die Polizei Härte – und die regierende Politik, wie man sich selbst abschafft.

Juristisch gesehen hat sich ein Teil der Demonstranten tatsächlich ins Unrecht gesetzt. Sitzblockaden sind nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt, wenn sie, wie es so schön heißt, nur den Zweck haben, „andere Rechtsträger in ihrer Rechtsposition zu beeinträchtigen“. Rechtswidrig sind auch Besetzungen von Bauplätzen und Baumaschinen – und eben auch von Bäumen, wenn diese gefällt werden sollen. Ja, und tatsächlich haben auf den Jahrhunderte alten Platanen, Buchen und Kastanien auch ein paar Autonome aus Hamburg und Berlin gesessen, alte Bekannte der Polizei, den Zitronensaft gegen das Reizgas für den Ernstfall in der Tasche und die Kapuzen tief im Gesicht.

Aber die Landesregierung, der Bürgermeister, die Einsatzleitung, sie alle haben noch überhaupt nicht verstanden, dass dieser Protest in Stuttgart anders ist als das, was sie aus Gorleben und Kreuzberg zu kennen glauben. Man mag es übertrieben nennen, wenn Stuttgarter Bürger angesichts der Verletzten im Schlosspark erschrocken von „Krieg“ sprechen oder auch naiv, wenn sie sich wundern, dass aus Wasserwerfern tatsächlich Wasser kommt. Aber es war der erste Einsatz eines Wasserwerfers in Stuttgart seit vierzig Jahren.

Zu dem Gefühl, ein unnötiges, unbeliebtes Milliardenprojekt mit zweifelhaften Mitteln und gravierenden Folgen von der Politik untergejubelt bekommen zu haben, kommt nun auch noch der Schock darüber, dass es mit aller polizeilichen Härte und politischer Kälte durchgeprügelt wird. Dazu passt, dass der Innenminister die Falschmeldung verbreitete, Demonstranten hätten mit Steinen auf Polizisten geworfen; es waren ein paar Kastanien. Zwar wurden die virtuellen Steine vom Amt später kleinlaut wieder eingesammelt, zugleich aber sprach der Minister herablassend von einem „Sprühregen“, dem die Bürger ausgesetzt gewesen seien, was wohl bedeutet: Sollen sich mal nicht so anstellen!

So mobilisiert, ja radikalisiert die liberal-konservative Regierung die Oma von nebenan und ihren Enkel gleich mit. Angela Merkel hat die Landtagswahl im kommenden Jahr auch zur Abstimmung über das Projekt Stuttgart 21 erklärt. Die alten Bahnhofsmauern werden dann abgerissen sein, die Platanen gefällt. Aber die Wut der Bürger, die wird kaum so schnell vergehen.

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