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Dienstwagen-Debatte: Ein Skandal, der keiner ist

Gierig stürzen sich Deutschlands Medien auf Ulla Schmidt und ihre vermeintliche Dienstwagen-Affäre. Das ist wohlfeil. Denn was ist eigentlich passiert? Gar nichts. In der Klimabilanz der Bundesregierung sind die zwei oder drei Tankfüllungen von Bonn nach Alicante ein Witz, verglichen mit der alltäglichen Sauerei, die durch die zwei Regierungssitze in die Luft geblasen wird.

Jetzt ist es Zeit für ein Lob: Danke, unbekannter Autodieb, dass Sie uns in diesem lausigen Sommerloch endlich ein handfestes Thema beschert haben. Der Zeitpunkt, sich im spanischen Kaff Denia mit dem Dienstwagen von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt aus dem Staub zu machen, war perfekt gewählt: Der Wahlkampf dümpelte vor sich hin, kein Koalitionskrach oder Steuerstreit halfen mehr beim Schlagzeilenmachen, sogar in Kiel hatten sich die Gemüter vorerst wieder beruhigt.

Journalisten macht das Angst. Sie müssen ihre Sendungen und Seiten füllen, ganz gleich, ob etwas passiert oder nicht. Wenige Kollegen sind dabei so ehrlich wie Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke, der vergangene Woche zugab, dass "man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch [hätte] lassen können".

Jetzt ist alles anders. Es gibt endlich wieder ein Thema. Und was für eines. Wie eine Löwenmeute, die wochenlang auf Diät gesetzt war, stürzt sich Medien-Deutschland auf Ulla Schmidt und ihren abhanden gekommenen Dienstwagen. Ganz vorn dabei: der Boulevard. "Ministerin Schamlos bei ihrem wichtigen Termin" titelt die Berliner BZ und zeigt dazu ein Foto der sommerlich gekleideten, lachenden Ulla Schmidt. Die Botschaft ist klar: Eine Ministerin, die so entspannt durch einen Urlaubsort schlendert, schiebt den dienstlichen Auftritt als Rednerin vor ein paar ausgewanderten Rentnern nur vor, um die Reise des Dienstwagens von Bonn nach Alicante zu rechtfertigen.

Das Revolverblatt unterstellt der Ministerin durch die Blume eine Lüge. Freilich ohne den geringsten Beweis. Die Bild-Zeitung geht nicht so weit, tut aber das, was Journalisten immer tun, wenn die bekannten Fakten nicht hart genug sind für eine schmissige Headline – sie formulieren die Überschrift als Frage: "Sagt die Ministerin die ganze Wahrheit?"

Der Reflex zu Skandalisierung macht auch vor seriöseren Medien nicht halt. Das ZDF zieht auf seiner Homepage ohne Scheu eine Linie vom Dienstwageneinsatz am Urlaubsort zu den Bonusmeilen-Affären von Cem Özdemir, Gregor Gysi und anderen. Zur Erinnerung: Damals wurden Lufthansa-Bonusmeilen, die bei Dienstreisen angefallen waren, für Privatreisen genutzt – ein Verhalten, das mit guten Argumenten Selbstbereicherung genannt werden kann. Auf Ulla Schmidts Dienstwageneinsatz passt dieser Vorwurf nicht.

Wie diverse Medien mit Ulla Schmidt umgehen, ist unlauter und wohlfeil. Denn was ist eigentlich passiert? Gar nichts. Es gibt keinen Skandal außer dem, dass ein Autodiebstahl gerade zu einem hochgeschrieben wird. Mitglieder der Bundesregierung dürfen ihren Dienstwagen nutzen, wo und wie sie wollen, auch privat. Ulla Schmidt hätte dafür nicht einmal dienstliche Termine in Alicante wahrnehmen müssen, denn Bundesminister gelten als "immer im Dienst".

Diese Regelung jetzt als Selbstbedienungsladen zu brandmarken, wie es der Steuerzahlerbund mit seinem Gewohnheitsreflex tat, funktioniert nur als sommerliches Empörungsritual. Moralische Substanz steckt keine dahinter. Denn während jetzt scheinheilig auf angeblich überprivilegierte Politiker geschimpft wird, sind auf Europas Straßen Tausende deutsche Dienstwagen auf Urlaubstouren unterwegs. Für Angestellte in der freien Wirtschaft ist es selbstverständlich, ihre Geschäftsautos auch privat nutzen zu dürfen. Sie zahlen den Sprit und eine moderate Leasingrate. Doch das passt nicht ins Konzept der sommerlichen Skandalisierungshysterie. Lieber lässt man sich über das moralische Verhalten der da oben aus, als dass man es an seinem eigenen misst.

Das gilt nicht weniger für den Klimakiller-Vorwurf, den sich Ulla Schmidt nun vorhalten lassen muss. Akribisch wird ausgerechnet, wie viel Sprit Schmidts Schlitten wohl verbrannt haben könnte. Anschließend bucht man reinen Gewissens den Billigflug von Berlin nach Frankfurt.

Die Aufregung um die vermeintliche Dienstwagen-Affäre ist typisch für unser Land. Hier zieht man sich gern am Kleinen hoch und lässt das Große liegen. In der Klimabilanz der Bundesregierung sind die zwei oder drei Tankfüllungen von Bonn nach Alicante ein Witz, verglichen mit der alltäglichen Sauerei, die durch die zwei Regierungssitze in die Luft geblasen wird. Doch das kümmert jetzt nicht mehr, die Skandalisierungsmaschinerie ist angelaufen. Diverse Medien haben ihre Reporter bereits ins Flugzeug nach Alicante gesetzt. Umweltfreundlich ist das nicht.

Quelle: ZEIT ONLINE

Ein Kommentar von Markus Horeld

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