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Das Bild zeigt den Sprinter Asafa Powell. Er hockt allein in der Bahn und bereitet sich auf den Start eines Rennens bei den Olympischen Spielen 2012 vor.

© dpa

Doping: Vom Profisport zum Volkssport

Die jüngsten Nachrichten über gedopte Sprinter überraschen niemanden mehr. Längst hat Doping auch den Markt der Normalbürger erreicht. Von einem Begriff des Natürlichen will sich niemand mehr begrenzen lassen.

Sie sausen an uns vorbei, knappe zehn Sekunden, dann ist ein 100-Meter-Rennen gelaufen. Zuerst spürt man den Luftzug – und dann ein Unbehagen. Weil auch die Chemie den Athleten Beine gemacht hat. Schon wieder stehen in diesen Tagen einige der schnellsten Läufer der Welt unter Dopingverdacht, Läufer in der fernen Karibik, in den fernen USA. Aber kommen sie uns nicht doch ziemlich nahe?

Eigentlich rennen sie auf uns zu. Man kann diesen Sprintern nicht ausweichen, jeder wird sich einmal die Frage stellen, was er in ihnen sieht. Die Muskeln? Den Ruhm? Den Betrug? Den Niedergang des Sports? Sie provozieren jedenfalls einen persönlichen Blick auf den Sport. Aber auch einen auf uns selbst.

Die Sprinter, ebenso wie die Radfahrer gerade bei der Tour de France, verlangen allen eine Menge ab, die sich noch Sport anschauen, aber nicht für dumm verkaufen lassen wollen: im Grunde nichts weniger, als die eigene Persönlichkeit zu spalten. In zwei Teile, eine Hälfte Gefühl und eine Hälfte Verstand. Beide müssen irgendwie miteinander auskommen, auf der Tribüne, vor dem Fernseher.

Der Verstand registriert jeden Dopingfall, ignoriert alle faulen Ausreden der Sportler, verbindet sich mit dem Zweifel. Vielleicht auch, um sich davor zu schützen, was noch kommen, wer alles noch erwischt werden kann, vielleicht Usain Bolt oder deutsche Athleten von nebenan, oder Idole aus dem Fußball.

Doch es gibt auch noch das Gefühl, das Bedürfnis, Sport zu genießen. Nicht nur aus Lust am Rekord, am Drama und am Spektakel. Laufen zum Beispiel ist die natürlichste Bewegungsform. Was Usain Bolt im Stadion zeigt, ist ein Naturschauspiel, für seinen rollenden, ästhetischen Laufstil gibt es keine Pillen. Biomechaniker haben seinen Stil mit dem eines Vogel Strauß verglichen. Einfach schön. Ob man damit auch 9,58 Sekunden laufen kann, schneller als Konkurrenten mit Dopingmitteln, ist eine andere Frage.

So bleibt der Widerspruch. Der saubere Sprint ist eine realistische Illusion. Ja, es sind verbotene Mittel im Spiel, aber sie sind unsichtbar, und es bleibt das Fünkchen Hoffnung, dass in Wirklichkeit Talent und Training über den Sieg entschieden haben. Manche haben sich auf den Wettkampf zwischen Gefühl und Verstand ohnehin gar nicht erst eingelassen oder längst kapituliert. Sie jubeln entweder drauflos, ohne viele Fragen zu stellen. Oder haben sich abgewendet, weil ihr Kopf sich nicht mehr von der Schönheit der Bewegung verführen lässt.

Die andere Verbindung zu uns verbirgt sich tief im aktuellen Fall und führt zu der Frage, wie wir uns selbst sehen. Denn die jamaikanischen Sprinter sind nach erster Einschätzung nicht deshalb aufgeflogen, weil sie sich im abgedunkelten Hinterzimmer Spritzen in die Muskeln gedrückt haben. Ein verunreinigtes Nahrungsergänzungsmittel soll ihnen die positive Dopingprobe eingehandelt haben. Solche Substanzen fluten gerade die Gesellschaft. Sie versprechen, Fett schmelzen und Muskeln explodieren zu lassen. Sie werben mit pflanzlicher Wirkung und sind manchmal doch nur billiges Doping.

Der Ehrgeiz, im gesellschaftlichen Wettbewerb um Aufmerksamkeit und persönliche Vorteile mitzuhalten, besser noch: vorne mit dabei zu sein, hat einen riesigen Markt entstehen lassen. Wer solche Mittel nimmt, will sich nicht begrenzen lassen von einem Begriff des Natürlichen. Sondern will alles rausholen, sich selbst vervollkommnen. Jeder erstellt da seine eigene Verbotsliste. Und jeder ist sein eigener Dopingkontrolleur.

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