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Meinung: Dreikomponentenkleber

Von Gerd Appenzeller Bevor sich Guido Westerwelle und Jürgen W. Möllemann daran machten, die Freien Demokraten aus dem Fünf-Prozent-Winkel in Richtung auf die 18-Prozent-Lichtung zu führen, hatten die Liberalen einen eher drögen Ruf.

Von Gerd Appenzeller

Bevor sich Guido Westerwelle und Jürgen W. Möllemann daran machten, die Freien Demokraten aus dem Fünf-Prozent-Winkel in Richtung auf die 18-Prozent-Lichtung zu führen, hatten die Liberalen einen eher drögen Ruf. Das Schlimmste, was ihnen die politischen Gegner nachsagen konnten, war eine notorische Umfallsucht in Richtung auf die jeweils weichsten Stühle.

Langweilig ist die FDP heute nicht mehr. Das ist aber auch so ziemlich das einzig Verlässliche, was man im Moment über sie sagen kann. Möllemann und Westerwelle, der Erste aktiv, der Zweite billigend, sind gerade dabei, so etwas wie den politischen Dreikomponentenkleber zu erfinden - eine Partei, die aus unverträglichen Zutaten besteht und dennoch nicht auseinander fliegt, sondern, dank warmer Wählerzuwendung, wie ein Hefeklumpen anschwillt.

Wie das geht? Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende hat sich zur allgemeinen Überraschung an der Ausgrabung einer alten, längst verdorrt geglaubten, liberalen Ursprungswurzel versucht. Jürgen W. Möllemann macht ein nationalliberales Potenzial für seine Partei aus, das sich, so findet er, als wahltaktisch interessant erweisen könnte. Man muss es nur entsprechend pflegen, am besten mit einem krachenden Tabubruch. Dass dieses angebliche Tabu – es sei verboten, Israel zu kritisieren – überhaupt nicht existiert, tut nichts zur Sache. Alleine die These, man müsse da endlich mal den Mund aufmachen dürfen, reicht schon, um den latenten Strom aus neueren antiisraelischen und alten antisemitischen Stimmungen aufzufangen. Die kommen zum Teil auch aus dem klassischen nationalliberalen Segment, zu dem der frühere FDP-Vorsitzende Erich Mende gehörte, reichen aber weit in die jüngere und ältere Generation hinein. Dass es solche Emotionen auch unter eingewanderten und wahlberechtigten Muslimen gibt, erhöht für einen vor lauter Machtgier blinden Politiker wie Möllemann nur den Reiz der Provokation.

Allerdings kollidiert diese neue – nennen wir sie einmal die Möllemann-Komponente der FDP – mit zwei traditionellen Komponenten. Die klassischen Liberalen, die bei der CDU vor allem das C stört und die sich als weltläufiger als jene empfinden, haben mit Antisemitismus genauso wenig am Hut wie die Veteranen der sozialliberalen Bündnisse nach 1969. Und die Spaßfraktion, die Guido Westerwelle ins liberale Garn eingewickelt hat, ist eigentlich völlig unpolitisch, eher auf sich selbst fixiert, von Westerwelle amüsiert und von national-populistischen Parolen vermutlich deutlich angeekelt.

Die drei Strömungen vertragen sich also nicht miteinander. Welche davon in den letzten Tagen gestärkt wurde, signalisieren die Meinungsumfragen noch nicht eindeutig. Sollte sich zeigen, dass die von Westerwelle nicht wirklich abgewehrte Möllemannlinie Stimmen bringt, wird das die liberale Stammkundschaft verschrecken. Dies könnte zumindest einen Nachdenkeffekt in der Partei auslösen. Sollte die Nettobilanz aber gar die Aggressionsstrategie des NRW-Spitzenliberalen stärken, dürfte das ein Pyrrhussieg für die FDP sein. Weder die Union noch die SPD wären vermutlich bereit, eine Koalition mit einer Partei einzugehen, deren Regierungsbeteiligung das internationale Ansehen Deutschlands schädigen würde.

So weit sind wir noch nicht. Erst einmal muss Guido Westerwelle schauen, ob er den Zentralrat der Juden doch noch zu einem Gespräch bewegen kann. Ohne einen solchen Dialogversuch wäre seine geplante Israelreise vermutlich vertane Zeit.

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