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Meinung: Düffeldoffel und Übelkrähe

Im Bundestag wird nur so getan, als gäbe es Debatten.

Wie großzügig! Da erwägt die große Koalition doch glatt, der Opposition in Zukunft mehr Redezeit im Bundestag zu gewähren. Weil die 127 Abgeordneten der Grünen und Linken sonst gegenüber der regierenden Mehrheit von 503 Parlamentariern allzu sehr ins Hintertreffen gerieten. Das ist im Sinne des Minderheitenschutzes und einer lebendigen Demokratie natürlich edel, geradezu staatstragend.

So werden Gregor Gysi zum Beispiel oder der Grüne Anton Hofreiter also bald, sagen wir einmal, fünf Minuten länger reden dürfen. Das ist schön für sie, und es hilft der Demokratie gewiss ungemein. Zugleich aber ist es völlig egal. Denn, wie lange sie auch reden, es wird ihnen ohnehin kaum jemand zuhören – und all den anderen Rednern auch nicht. Warum auch?

Das parlamentarische Reden ist schon seit langer Zeit fast völlig ohne Funktion. Weil ja längst bekannt ist, was der Redner zu sagen hat. Seine Meinungen sind medial verbreitet, in Interviews und Talkshows, in Reden, die er anderswo gehalten hat, über Twitter, über Facebook. Die Bühne des Parlaments ist nicht der Ort, an dem sich Überraschungen ereignen könnten, an dem neue Argumente ausgetauscht werden. Sie werden lediglich wiedergekäut. Und sie dienen keineswegs dazu, andere von den eigenen Ansichten zu überzeugen. Diese Arbeit ist längst geleistet – in Fraktionssitzungen, in Ausschüssen, in Einzelgesprächen. Deshalb sind die Reden, die im Bundestag gehalten werden, nichts anderes als Fensterreden. Scheingefechte, die im Grunde kein Mensch braucht.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Seltene. Etwa Wolfgang Schäuble bei der Abstimmung über den Parlamentsumzug von Bonn nach Berlin; etwa Heiner Geißler in der Debatte über das Abtreibungsrecht; manchmal auch bei Diskussionen um überparteiliche Gruppenanträge. Hier geraten Argumente zuweilen in den Rang eines Politikums, können Entscheidungen bestimmen, verändern, bestätigen. Möglicherweise jedenfalls.

Und wie steht es um die viel beschworenen „Sternstunden des Parlaments“, die rhetorischen Feuerwerke im Hohen Haus? Es gibt sie nicht, es gab sie kaum je. Dass heute noch als Höhepunkte parlamentarischer Gefechte Herbert Wehners Rüpeleien zitiert werden, ist dafür kein Gegenbeweis, sondern eher ein Beleg. Als er den Abgeordneten Wohlrabe als „Übelkrähe“ titulierte und einen anderen als „Düffeldoffel“, war das nicht Ausdruck geistreicher Gewitztheit, sondern eher ergreifender Schlichtheit, der Spaßfaktor hielt sich in Grenzen.

Was übrigens im Gegensatz zu einer sich hartnäckig haltenden Meinung auch von Franz Josef Strauß gilt, der eher ein wilder Poltergeist denn ein Mann von rhetorischem Feinschliff war. Selbst als es um eine Schicksalsfrage deutscher Politik ging, bei der Debatte um die Ostpolitik, beim Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, siegte keineswegs das bessere Argument, sondern ein erfolgreicher Versuch der Abgeordnetenbestechung. Offenbar wusste man schon damals, es war im Jahr 1972, dass es stärkere Mittel der Überredungskunst gibt als die rhetorischen.

Was sich bei den Reden im Plenarsaal abspielt, hat so gut wie keine Bedeutung auf der Ebene der Entscheidung, sondern nur auf der der Symbolik. Das Parlment präsentiert nicht Demokratie, sondern repräsentiert sie nur. Das ist indessen nicht wenig. Die Versammlung der Volkssouveränität braucht ihre Rituale, auch wenn es leere Rituale sind. Sie gleichen einer Theateraufführung, bei der jeder weiß, dass es sich nur um ein „als ob“ handelt, um den Anschein von etwas.

Wenn nur die Schauspieler besser wären! Wenn nur so deftige wie herzhafte Zwischenrufe durch den Reichstag schallten, wie sie im britischen Parlament alltäglich sind. Wenn sich nur schlagbereite Männer fäusteschwingend auf ihre Gegner stürzten, wie es im römischen Palazzo Montecitorio gerne geschieht. Wenn schon Theater, dann richtig.

Deshalb sollte man Redezeiten nicht verlängern, wie es jetzt diskutiert wird. Man sollte sie verkürzen. Drei Minuten für jeden. Höchstens.

Postscriptum: Möglicherweise ist der eigentliche Schauplatz des Parlaments dort, wo kaum einer zusieht und zuhört. In den Ausschüssen, den Aktuellen Stunden, in der Arbeit der Abgeordnetenbüros. Im Verborgenen also, wo keiner „Düffeldoffel“ schreit.

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