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Meinung: Ehe ohne Trauschein

Auch ohne Länderfusion machen Berlin und Brandenburg viel gemeinsam.

Hat sich die Berliner Politik von einer Länderfusion mit Brandenburg verabschiedet? Nach Lektüre des rot-schwarzen Koalitionsvertrages könnte man auf diesen Gedanken kommen. Von der in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts so gerne beschworenen Liaison zwischen Adler und Bär steht da nichts mehr drin. „Die wollen ja nicht“, hatte Klaus Wowereit brummig auf eine Frage geantwortet.

Recht hat er. Die wollen wirklich nicht, Matthias Platzeck hat es im Juli bei einer aktuellen Stunde im Landtag in Potsdam begründet. Der Berliner Schuldenberg sei seit 1996, dem Jahr der Volksabstimmung, nicht kleiner geworden, und in einem gemeinsamen Parlament würden immer mehr Berliner als Brandenburger sitzen – wenn es Spitz auf Knopf gehe, stimme eben doch jeder nach seiner Herkunft ab. Im Übrigen, sagt Platzeck, gebe es in Deutschland keine Regionen, die enger miteinander verwoben seien als die beiden Bundesländer.

Das ist alles richtig – und dennoch nur ein Teil der Wahrheit. Als am 5. Mai 1996 die Brandenburger klar gegen, die Berliner ganz deutlich für eine Länderfusion stimmten, lag der Berliner Schuldenstand bei 23,8 Milliarden Euro, Stand Ende 1995. Er stieg 1998 auf 33,2 Milliarden, kletterte bis 2003 auf 51,7 Milliarden, um 2006 erstmals die 60-Milliarden-Marke zu erreichen. Zwar hätte der ursprünglich zwischen Volker Kähne (Berlin) und Jürgen Linde (Brandenburg) ausgehandelte Fusionsvertrag mit dem Segen des Bundes das Berliner Stadtstaatenprivileg, also die erhöhte Zuweisung von Bundeszuschüssen, noch viele Jahre garantiert, mit den Schulden allerdings hätte Berlin allein klarkommen müssen. Das hat inzwischen sogar das Bundesverfassungsgericht bestätigt.

Aber die als Fusionsfolge errechneten, ganz erheblichen Einsparungen im Verwaltungsbereich erwähnt Platzeck heute nicht mehr. Kähne und Linde hatten die mit immerhin 500 Millionen Mark pro Jahr beziffert, und klar ist, dass da auch in Brandenburg viel Personal hätte abgebaut werden müssen.

Tatsächlich fährt Brandenburg mit dem Ist-Zustand sehr gut. Es kann das Entwicklungsprinzip der „dezentralen Konzentration“ zwar mühsam, doch immerhin weiter verfolgen und hat dabei durch die Berliner Zustimmung zu gemeinsamen Verwaltungsinstanzen in Randregionen (Finanzgericht Cottbus) sogar tätige Hilfe der Hauptstadt erfahren. Der Ausbau der Hochschulen in Cottbus und Frankfurt / Oder ist weiterer Beleg für die Stärkung der Berlin-fernen Gebiete, und ohne Fusion profitieren Berlin-nahe Brandenburger Landkreise vom Metropolen-Boom.

Leiden müssen lediglich Schulkinder, die zwischen beiden Ländern immer öfter halb-legal pendeln, weil sie mit ihren Eltern zwar im Umland wohnen, die Schulen in Berlin aber aus vielen Gründen verlockender sind. Ganz ohne Brandenburger Hilfe kommt der Koalitionsvertrag dann doch nicht aus: Denn wie will Wowereit die Verbindungen nach Polen intensivieren und die Bahnnetze Richtung Norden und Osten ausbauen, ohne Absprachen mit Platzeck?

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