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Ehec: Die Seuchenbekämpfung muss reformiert werden

Im Ehec-Krimi war der Mörder wieder der Gärtner. Die öffentliche Kritik am Robert Koch-Institut ist dennoch verfrüht.

Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Trotzdem wirft die Erkenntnis, dass der Ehec-Ausbruch ausgerechnet durch Sprossen (mit-)verursacht wurde, Fragen zum Krisenmanagement auf. Ausgerechnet Sprossen: Dass sie verdächtig sind, war den Behörden bekannt. Bei zahlreichen anderen Ausbrüchen waren sie als Überträger im Verdacht. Sie sind einer der am besten untersuchten Ehec-Auslöser. Im Gegensatz zu anderem Gemüse stecken hier die Bakterien im Innern und können nicht abgewaschen werden. Zehn Millionen Keime pro Gramm wurden gemessen, ohne dass die Sprossen geschmacklich oder äußerlich verändert waren. Als typische Salatbeilage und aufgrund der indirekten Vertriebswege passten sie von Anfang an perfekt zum geographischen Muster des Ehec-Ausbruches – der Mörder war wieder der Gärtner, und keiner hat es geahnt.

Das Robert Koch-Institut (RKI) hat am vergangenen Mittwoch die Fragebögen ins Internet gestellt, die zu der falschen Warnung vor „Tomaten, Salatgurken und Blattsalaten“ führten. Diese Offenheit ist lobenswert, schließlich muss aus etwaigen Fehlern gelernt werden. Wie jetzt erst deutlich wird, haben die Epidemiologen vom RKI in der für die Verzehrswarnung ausschlaggebenden Fallkontrollstudie gar nicht nach Sprossen gefragt. Dafür hatten sie am 22. und 24. Mai in Hamburg 25 Hus- und Ehec-Patienten sowie 96 gesunde Kontrollpersonen interviewt. Auf der Liste der Interviewer standen lediglich Spargel, Tomaten, Erdbeeren, Lauch, Möhren, Salatgurke, grüner Salat, Spinat, Mozzarella, Ziegen- oder Schafskäse und Rinderhackfleisch. Von diesen elf Produkten hatten die Ehec-Infizierten signifikant häufiger Tomaten, Salatgurken und Blattsalat gegessen.

Die Beschränkung auf nur elf Produkte, von denen dann die bekannten drei ein statistisches „Signal“ gaben, wirft Fragen nach der Methodik auf. Das RKI verteidigt sein Vorgehen damit, dass in einer ausführlichen („explorativen“) Vorbefragung am 20. und 21. Mai nur drei von zwölf Patienten angaben, Sprossen gegessen zu haben. In der folgenden Fallkontrollstudie habe man dann die Sprossen weggelassen, weil das Ergebnis durch zu viele Fragen verwässert werden kann.

Diese Überlegung ist zwar grundsätzlich richtig. Jedoch können und müssen „übliche Verdächtige“, zu denen die Sprossen zweifellos gehörten, auch dann in die Fallkontrollstudie einbezogen werden, wenn sich aus den explorativen Gesprächen nur ein schwacher Hinweis ergibt. So wurden Rindfleisch, Spinat und Käse, die schon häufiger Ehec-Ausbrüche verursachten, durchaus in den Fragenkatalog aufgenommen. Bei Sprossen kommt hinzu, dass sich die Befragten weniger gut daran erinnern, sie gegessen zu haben als bei Tomaten oder Gurken, zumal sie oft nur als Salatbeilage im Restaurant gegessen werden.

Möglicherweise wurden auch bei den Vorgesprächen methodische Fehler gemacht. Man fragte die zwölf Patienten, die teilweise schwer krank waren, zunächst ausführlich nach bekannten Ehec-Infektionsquellen – von Erkrankungen im Haushalt über Reisen, Tierkontakte und Backwaren bis zur häuslichen Wasserversorgung. Die Sprossen waren dagegen in einer langen Liste von „standardisierten Fragen“ versteckt, die am Ende des Gespräches abgehakt wurde. Dabei bezog sich diese Liste ausdrücklich nur auf Lebensmittel, die „im Haushalt verzehrt“ und selbst eingekauft wurden – in Restaurants gegessene Speisen kamen erst in späteren Fragebogen-Versionen vor.

Die öffentliche Kritik am RKI ist dennoch verfrüht. Nach geltender Rechtslage ist die Ermittlung der Ursache epidemischer Krankheitsgeschehen Ländersache, das RKI kann nur beraten und bewerten. Für die Nachverfolgung der Infektionswege sind im Lebensmittelbereich die Landwirtschaftsministerien der Länder zuständig, für die Verzehrswarnungen das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Dass das RKI möglicherweise zwar akademisch korrekt arbeitete, aber wichtige Fakten aus anderen Bereichen anfangs nicht im Blick hatte, kann ihm nicht vorgeworfen werden. Eine Neustrukturierung der Seuchenbekämpfung ist dringend überfällig – so schlau hätte man allerdings auch schon vorher sein können.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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