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Kontrapunkt: Ein krasser Fall von Pietätlosigkeit

Was Margot Käßmann und Hans-Jürgen Hufeisen auf dem Kirchentag in Dresden in Halle 1 abgeliefert haben, war pietätlos, sagt Malte Lehming. Aber es hat auch keinen gestört.

Der eine ist vorbei, der nächste wird schon vorbereitet. In zwei Jahren findet der 34. Evangelische Kirchentag in Hamburg statt. Und ein bewährtes Team – Bischöfin Margot Käßmann und Blockflötist Hans-Jürgen Hufeisen – plant eine kleine Sensation: Zu melodisch-meditativer Sphären-Musik, komponiert von Hufeisen, wird Käßmann die Geschichte von drei jüdischen Kindern erzählen, die in Auschwitz vergast wurden. Lea, Aron und Galia. Dazu werden weiße und blutrote Tücher durch den Raum getragen. Zwischen den Erzählungen flötet Hufeisen. Im Anschluss an jede der drei Geschichten wird das Publikum aufgefordert, sich von den Papphockern zu erheben und eine ganz persönliche Trauergebärde zu finden, in der sich ihr nachempfundener Schmerz ausdrückt. Das ganze ist eine "Liturgie", dient also der Verehrung Gottes und der Vertiefung des christlichen Glaubens.

Absurd? Vielleicht. Makaber? Gewiss. Pietätlos? Auf jeden Fall. Unmöglich? Nein.

Etwas ähnliches nämlich haben Käßmann und Hufeisen in Dresden zelebriert. Die Veranstaltung nannte sich "Die drei Weisen aus Argentinien, Afghanistan und Liberia – Selig sind, die Frieden stiften" und fand am vergangenen Freitagabend in Halle 1 des Messegeländes statt. Zufällig war es auch Käßmanns Geburtstag, und so viele Gäste wie diesmal hatte sie noch nie, wie sie dem Publikum nach dessen Ständchen verriet.

Detailliert geschildert wurde der Ablauf des Abends in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) . Demnach las Käßmann "mit fester, getragener Stimme" zunächst die Geschichte von Tamba aus Liberia vor, der mit ansehen muss, wie Soldaten seinen Vater erschießen, seine Schwester vergewaltigen, seine schreiende Mutter erschießen, bevor sie dem Jungen schließlich das rechte Bein abhacken. Zu der Erzählung werden Bilder von Kindersoldaten an eine Leinwand projiziert.

Es folgt die Geschichte von Samir aus Afghanistan. Dazu wiederum werden Bilder der auf Geheiß der Bundeswehr bombardierten und ausgebrannten Tanklastwagen von Kundus gezeigt. Bei diesem Bombardement starben der Vater und die beiden Brüder von Samir. Als drittes kommt, durch die Stimme Käßmanns, Juanita aus Buenos Aires zu Wort, die ihre Tochter Eva sucht, die während der Militärdiktatur wahrscheinlich vergewaltigt und ermordet worden war.

Diese drei Weisen unserer Zeit sind, laut Liturgie, auf dem Weg nach Bethlehem, auf dem Weg zum Frieden, machen sich auf zur Krippe Jesu. Und hier, wie im fiktiven Beispiel am Anfang, sollen die Zuhörer nach jeder Geschichte aufstehen und ihre persönliche Trauergebärde finden - "manche halten die Arme in die Höhe, andere lassen sie hängen, manche blicken betroffen nach oben, andere nach unten" (FAS). Der Besucher soll "Leid und Rührung durchleben, Schrecken und Schauder". Bevor am Ende die Katharsis einsetzt, die Reinigung.

Man fasst es kaum! Dass Käßmann nichts Gutes im Afghanistankrieg entdecken kann und statt diesen Krieg zu führen, lieber mit den Taliban beten möchte, ist nicht nur ihr Recht, sondern wohl auch Resultat ihres Glaubens. Man kann politisch anderer Meinung sein, aber theologisch bewegt sie sich mit solchen Äußerungen keineswegs ins Abseits.

Aber die Instrumentalisierung fernen, fremden Leidens zur Vermittlung eigener spiritueller Botschaften ist Frevel. Die Anmaßung, dieses Leid in irgendeiner Weise selbst durchleben oder mitempfinden zu können, ist frivol. Auf perfide Art werden die Schicksale von Tamba, Samir und Juanita von den Liturgiefeiernden in Halle 1 vereinnahmt. Außerdem dürften weder Tamba noch Samir noch Juanita der Evangelischen Kirche oder dem Protestantismus nahe stehen.

Nein, hier geht es nicht um Ursachen, Hintergründe oder Analysen der Konflikte in Liberia, Afghanistan und Argentinien. Sondern es geht allein um die Zelebrierung von Empathie, umhüllt von einem pseudo-theologischen Jargon menschlicher Nähe.

Doch wenn das so ist, sollten sich Käßmann und Hufeisen tatsächlich nicht scheuen, in zwei Jahren in Hamburg zu meditativer Flötenmusik die Geschichte von Lea, Aron und Galia zu erzählen. Mit fester, getragener Stimme. Und dann sollten sie das Publikum bitten, seine Trauer über deren Vergasung nachzuempfinden und in einer Gebärde auszudrücken – zum Lobe des christlichen Gottes.

Absurd? Vielleicht. Makaber? Gewiss. Pietätlos? Auf jeden Fall. Unmöglich? Leider nein.

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