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Meinung: Ein richtiger Präsident? Horst Köhler sollte Schiedsrichter bleiben

Horst Köhler sieht sich, wenn auch jetzt nicht mehr so patzig, dem Vorwurf ausgesetzt, er agiere parteipolitisch. Mit Verlaub: Dass Horst Köhler ein richtiger Parteipolitiker ist, das glaube ich überhaupt nicht.

Horst Köhler sieht sich, wenn auch jetzt nicht mehr so patzig, dem Vorwurf ausgesetzt, er agiere parteipolitisch. Mit Verlaub: Dass Horst Köhler ein richtiger Parteipolitiker ist, das glaube ich überhaupt nicht. Aber ich fange an, mich zu fragen, ob er als er Präsident richtig, ob er als richtiger Präsident auftritt.

Zum Beispiel kann ich nicht verstehen, dass Köhler sich in den Wochen zwischen Schröders Ankündigung der Vertrauensfrage und der Abstimmung zweimal in Zeitungsinterviews überhaupt auf das Flachland des öffentlichen Geredes herabbegeben hat. Damit nur nicht jemand mit „Neidgesellschaft“ kommt: Den erfolgreichen Journalisten-Kollegen einen aufrichtigen Glückwunsch zu ihren scoops. Aber aus der Sicht des Amtes geurteilt: Die wahre Souveränität des Staatsoberhauptes erweist sich darin, dass er alles verbale Orakeln vor dem Tage X strikt unterlässt (wann immer und unter welchen exakten Umständen der letztlich eintritt, wer weiß das schon vorher so genau?), dass er dann aber überzeugend entscheidet und begründet. Versicherungen wie jene – Originalton Köhler! –, „am Ende werde ich nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, wie es die Verfassung und der Amtseid gebieten“, sind in ihrer blassen Selbstverständlichkeit (etwas anderes wäre ja auch ein dolles Ding!) eher das Gegenteil von Selbst- und Amtssicherheit. Pfeifen im Walde?

Kommt hinzu, dass es schon merkwürdig anmutet, dass der Bundespräsident sich in seinem „Spiegel“-Interview de facto in eine innenpolitische Vorwahl-Debatte hineinziehen ließ – wo doch die Prärogativen des Amtes ihn dezidiert darauf bestehen lassen müssten, dass noch gar nicht entschieden ist, ob es überhaupt zu Neuwahlen kommt. Und wenn, dann müsste sich das Staatsoberhaupt aus der Beleuchtung und Kommentierung der Wahlkampfaufstellungen penibel heraushalten.

Das wirklich Bedenkliche aber ist, dass der Bundespräsident sich auch noch in eine Diskussion über ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages locken ließ – halb zog es ihn, halb sank er hin. Da geht der Bundespräsident auf die einzige Situation zu, in der er einmal wirklich nach freiem politischen Ermessen entscheiden kann – und schon fängt er noch vor dem eigentlichen Verfahren an, über eine Verfassungsänderung zu räsonieren, die ihn in künftigen parlamentarischen Krisen de facto als Schiedsrichter beseitigen würde. Es ist aber nicht nur die vorauseilend angedeutete Willigkeit zur politischen Selbstkastration, die massive Bedenken weckt, sondern das tiefe Missverständnis der verfassungspolitischen Anordnung, die dahinter liegt: Das Grundgesetz achtet darauf, dass gerade in parlamentarischen Krisen kein Verfassungsorgan ganz für sich allein entscheiden kann. Unsere Verfassung folgt darin den berühmten „Federalist Papers“, wonach ein kluges Regierungssystem eben nicht auf einer schematischen Gewaltenteilung beruht, sondern auf einer gescheiten Verschränkung der Gewalten, also darauf, „dass dessen verschiedenen konstitutiven Teile durch ihre wechselseitigen Beziehungen selbst zum Mittel werden, den jeweils anderen Teil in seine Schranken zu verweisen“.

Genau das aber ist die Logik unserer Bestimmungen über die Vertrauensfrage und über vorgezogene Neuwahlen. Weder kann der Bundeskanzler für sich allein, noch dürfte nach dieser bewährten Logik künftig der Bundestag für sich allein über eine Auflösung entscheiden. Dass aber der Bundespräsident diese Logik – und seine eigene Rolle in dieser Logik – mir nichts, dir nichts in einem schlichten Interview vorab zur Disposition stellt, das erregt schon mehr als ein unwirsches Kopfschütteln. Spätestens nach einer solchen Systemänderung wäre er kein richtiger Präsident mehr – er nicht und keiner seiner Nachfolger.

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