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Asylbewerber, hier in Eisenhüttenstadt, sind manchmal Monate oder Jahre zur Untätigkeit verdammt.

© dpa

Ein SPRUCH: Das könnte sich bezahlt machen

Auch Asylbewerber sollen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, meint das Bundesverfassungsgericht. Gut so, meint Fatina Keilani. Denn die Asylbewerber von heute sind die gesuchten Fachkräfte von morgen.

Von Fatina Keilani

Das Revolutionäre steht gleich vorn, im zweiten Leitsatz. Sinngemäß heißt es dort: Die Geldleistungen für Asylbewerber dienen der Sicherung einer menschenwürdigen Existenz, und diese besteht nicht nur im nackten Überleben, sondern auch in der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben und in der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Was das höchste deutsche Gericht vor gut zwei Jahren für Hartz-IV-Empfänger statuierte, gilt jetzt auch für Asylbewerber. Und das ist neu.

Bisher durchzieht das Asylverfahren der Grundgedanke, dass die Antragsteller bloß nicht hier heimisch werden sollen, bloß keine Wurzeln schlagen, denn in den meisten Fällen ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie als politisch Verfolgte anerkannt werden. An Teilhabe, woran auch immer, war bisher nicht zu denken; nicht einmal Deutschkurse dürfen die Asylsuchenden machen, es sei denn privat finanziert. Die deutsche Bürokratie unterminierte ihr Ziel, die Leute schnell loszuwerden, durch langwierige Verfahren allerdings selbst, und schließlich brachten es viele zur Duldung aus humanitären Gründen, mit der sie weiter in der Luft hingen, manchmal mehr als ein Jahrzehnt lang.

So gab es immer die Teilung: Unsere deutschen Sozialhilfeempfänger sollen nicht vollends ins Abseits geraten, also müssen sie auf Steuerzahlers Kosten auch mal ins Kino oder Museum gehen dürfen. Aber die anderen, diese völlig Fremden, für die galt das nie. Sie waren in der Gesellschaft ja auch vorher nicht drin.

Mit dem Verdikt, dass alle in ähnlicher Höhe alimentiert werden müssen – denn die Menschenwürde besitzen alle – stößt das Gericht die Tür zu einer anderen Wahrnehmung auf. Und das wäre überfällig. Es scheint vielleicht gewagt, den Fachkräftemangel und die Asylfrage zusammenzubringen, doch drängt sich das geradezu auf: Gerade weil viele Flüchtlinge ein besseres Leben suchen, also eher Wirtschaftsflüchtlinge als politisch Verfolgte sind, gerade weil sie große Gefahren und Risiken auf sich genommen haben, bilden sie ein riesiges Potenzial. Viele sind jung, bildungshungrig, aufstiegsorientiert. Nur lässt man sie nicht.

Im ersten Jahr dürfen sie gar nicht arbeiten, danach nur, wenn kein Deutscher oder vorrangiger Ausländer den Job will. Auch eine Ausbildung dürfen sie frühestens nach einem Jahr machen, und auch hier ist der Zugang erschwert. Dabei sind Menschen nach Jahren des Zeittotschlagens zermürbt. Sie verlieren ihr Potenzial. Und viele Firmen suchen Leute.

„Ausländer“ einerseits und „Asylsuchende“ auf der anderen Seite sind rechtlich bei uns strikt getrennt; auch das Zuwanderungsgesetz änderte das nicht. Es fehlt ein Verbindungsstück. Vielleicht hat mal einer den Ehrgeiz, das ganze System prüfen zu lassen. Dem Bundesverfassungsgericht ist auf diesem Feld derzeit mehr Politik zuzutrauen als der Politik.

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