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Ein SPRUCH: Klug, aber unmenschlich

Die alte Bundesrepublik, die RAF, bleierne Zeit – für die meisten noch fühlbare Vergangenheit, der Prozess um Verena Becker und das Interesse daran belegen es. Der Ankündigung, sie würde ihr langes Schweigen zum Buback-Mord brechen, blickten einige mit Respekt entgegen.

Die alte Bundesrepublik, die RAF, bleierne Zeit – für die meisten noch fühlbare Vergangenheit, der Prozess um Verena Becker und das Interesse daran belegen es. Der Ankündigung, sie würde ihr langes Schweigen zum Buback-Mord brechen, blickten einige mit Respekt entgegen. Andere hofften, sie lasse zumindest Angehörige der Opfer etwas Reue spüren, ein Seelenzustand, der Überzeugungstätern sonst unbekannt ist. Doch ihre Einlassung folgte nur kühler Verteidigerlogik: klug, aber unmenschlich.

Ist das verwerflich? Nein. Becker ist Angeklagte in einem Strafprozess, den vor einigen Jahren noch niemand hatte kommen sehen. Sie will einen Freispruch, keine Milde. Sie hat Menschen auf dem Gewissen, mindestens einen, aber sie hat gebüßt und wurde später begnadigt. Bis zum Beweis ihrer Schuld ist sie zu nichts verpflichtet, außer, sich diesem Verfahren zu stellen. Deshalb sagt sie auch nicht, wer schoss. Wissen, das sie preisgäbe, rückte sie nur näher an eine Tat, zu der sie Abstand sucht.

Und eine Entschuldigung? Wer sich entschuldigt, klagt sich an. Die Einsicht des Kirchenvaters Hieronymus gilt auch für den modernen Strafprozess. Ein mitfühlendes letztes Wort mag Becker vielleicht noch gelingen, zu erwarten ist es kaum. Einzig ihr Schicksal ist es, das für sie zählt. Weder RAF-Egozentrik noch eine den Alt-Terroristen oft zugeschriebene Anmaßung müssen daraus sprechen; wohl eher sind es typische Regungen für Menschen, die viel Zeit im Gefängnis verbrachten und mit ihren Gedanken um sich selbst zu kreisen pflegen.

Beckers Aussage ist Prozesstaktik; wäre sie früher erfolgt, hätten spätere Beweise sie konterkarieren können. Trotzdem wollte sie eine plausible Geschichte liefern, wie ihre DNA-Spur an die Bekennerschreiben kam. Und wo sie am Tattag war, ein klassisches, leidlich detailliertes Alibi, das niemand mehr prüfen kann. So soll sich ein neues Puzzleteil in das Bild fügen, das sich die Richter am Ende machen werden – und alte Teile überlagern, wo etwas nicht passt. „Ich war woanders“ ist immer noch das stärkste Argument. Und Becker war immer woanders, wenn die Anschlagspläne konkreter wurden, und sie war natürlich woanders, als er stattfand. Zugleich bestätigte sie Nebensächliches, etwa ihren Tarnnamen, und warb so darum, dass man ihr glaubt. Für einen Menschen, der in wichtigen Dingen chinesische Orakel befragt, eine erstaunlich durchkomponierte Erklärung.

Klug war das, nur menschlich nicht. Sonst hätte Becker beteuern können, dass sie nicht weiß, wer Buback erschoss, dass sie damals auch nie gefragt hat. Lebensfremd? Nein, gefährlich für die RAF war vor allem Verrat. Doch wer ihr zuhörte, musste glauben, sie wisse es und genieße nun, dies anderen vorzuenthalten. Sollte es so sein: Verurteilen kann man sie nicht dafür. Aber verachten.

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