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Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Ein SPRUCH: Mehr richten

Justizkritik ist viel zu oft klischeebeladen, unfair, kenntnislos. Und dennoch kann sie wahr und richtig sein. Nicht immer im Einzelfall, im Detail. Aber in der Richtung

So alt wie die Justiz ist die Kritik an ihr. Zuweilen mündet sie im Ressentiment. Der Ursprung dürfte dafür in der feudalen Herkunft von Urteilssprüchen liegen. Wenn der Fürst einen Fall beschied, gab es keine Widerworte. Die Ohnmacht des Verurteilten oder im Streit Unterlegenen wurde zu Groll.

Selbst wenn heute die Rechtsprechung in der Hand einer spezialisierten Profession liegt und strikt an das Gesetz gebunden ist – die Gefühle sind geblieben. Via Medien fühlen alle mit. Bis zur Wut.

Im abgelaufenen Jahr wurde über Rechtspolitik eher wenig, dafür aber über die Justiz viel geredet. Vor allem schlecht. Der Fall des entlassenen Psychiatriepatienten Gustl Mollath ließ den Volkszorn kochen, seine Entlassung gilt als Eingeständnis eines Justizversagens; auch dem toten Lehrer Horst Arnold widerfuhr – zu späte – Gerechtigkeit, indem seine frühere Kollegin, die ihn falsch der Vergewaltigung bezichtigt hatte, zu Haft und Schmerzensgeld verurteilt wurde. Im Fall des Bildersammlers Cornelius Gurlitt tauchte die Justiz als Geheimniskrämer und Stümper auf, die jedes Gespür für die Dimensionen vermissen ließ. Der NSU-Richter Manfred Goetzl erschien als Betonkopf, der nicht begriff, was sein Verfahren mit der Türkei zu tun hat. Nicht zuletzt das Wulff-Verfahren – ein Aufriss wegen 700 Euro? Die spinnen.

Wann machen Richter etwas richtig? Fast nie. Vielleicht, wenn sie eine Supermarktkassiererin vor der Kündigung retten. Wenn sie am Verfassungsgericht die Rechte von Minderheiten hochleben lassen oder Politikern die berühmte „Klatsche“ austeilen. Sollten Richter das beklagen? Nein. Sie sind Teil der Staatsgewalt. Sie stehen in der Öffentlichkeit. Sie sprechen in unserem Namen, also dürfen wir sie an diesem Anspruch messen. Sie sind frei, unabhängig, unkündbar. Auserwählt, ohne abwählbar zu sein. Wer in einer demokratischen Hierarchie so weit oben steht, muss einiges vertragen. Richter muss man kritisieren können. Sie stehen im Feuer der öffentlichen Meinung. Und sie gehören dort hin.

Justizkritik ist viel zu oft klischeebeladen, unfair, kenntnislos. Und dennoch kann sie wahr und richtig sein. Nicht immer im Einzelfall, im Detail. Aber in der Richtung. In dem Gefühl, dass sich etwas ändern muss. Die Mollath-Diskussion hat die Empfindlichkeit dafür gestärkt, dass „Wegsperren“ keine Lösung ist, dass Richter und Psychiater genauer hinschauen, wem sie für wie lange die Freiheit entziehen. Dank des NSU-Presseplatzstreits wird erstmals seit Jahren wieder ernsthaft diskutiert, die Gerichtssäle für Kameras zu öffnen. Justizirrtümer anzuprangern macht klar, dass Strafen niemals Routine werden darf. Die Justiz kann sich ohne Politik ändern. Aber nur mit Kritik. Auch, wenn sie häufig ungerechter ist, als es die Richter sind.

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