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Ein SPRUCH: Wenn der Staat büßen muss

Wer über Langeweile, Routine und Fremdbestimmung im Alltag klagt, mag sich einmal ins Gefängnis begeben. Man lernt dort schnell wieder schätzen, welches Glück selbst die schlimmste Ödnis verheißt, solange sie sich nur in Freiheit ereignet.

Wer über Langeweile, Routine und Fremdbestimmung im Alltag klagt, mag sich einmal ins Gefängnis begeben. Man lernt dort schnell wieder schätzen, welches Glück selbst die schlimmste Ödnis verheißt, solange sie sich nur in Freiheit ereignet. Die Differenz zwischen beidem hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil auf einen Wert von 16 Euro pro Tag taxiert, jedenfalls für Straftäter, die man aufgrund verschärfter Gesetze zu Unrecht auf Jahre und Jahrzehnte in Sicherungsverwahrung hielt. Für fälschlich Verurteilte, Opfer von Justizirrtümern also, sind laut Gesetz 25 Euro für jeden Hafttag vorgesehen – abzüglich sechs Euro für Kost und Logis.

Gemein ist diesen Summen, dass sie beschämend niedrig sind. Versagt dieser Musterrechtsstaat Bundesrepublik einmal, sind ihm die Schäden egal, während sich das Publikum ohnedies nur punktuell interessiert; ein Schicksal erzeugt Spannung (Mollath), viele Schicksale ermüden. Schwer genug zudem, frühere Gewalt- und Sexualtäter als Opfer zu betrachten, wie es bei den Sicherungsverwahrten nötig wurde. Wir verfügen über eine reiche Rechtskultur. Haben wir in ihrem Namen jedoch Unrecht getan, sind Fehler passiert, die hätten vermieden werden müssen, merkt man immer wieder: Es mangelt bei uns an einer Unrechtskultur.

Schicksale wie das des Lehrers Horst Arnold sind das eine. Er saß fünf Jahre, weil eine Kollegin ihn einer Vergewaltigung bezichtigte, die nie stattgefunden hatte. Nach dem Erweis seiner Unschuld mahlten die Behördenmühlen langsam. Womöglich hätte er sich noch seinen Gehaltsausfall erstatten lassen können. Doch bis zu seinem Tod sah er keinen Cent. Jetzt hat seine Tochter das angebliche Opfer von damals auf 80 000 Euro Schmerzensgeld verklagt. Es ist Geld, das eigentlich der Staat zahlen müsste.

Für die Entschädigung eines größer dimensionierten Justizunrechts findet sich noch schwerer eine Form: Wenn das Gesetz selbst das Unrecht ist. So war es bei den Sicherungsverwahrten. Ihnen kappte die Politik ihre Aussicht auf Entlassung, indem sie die Maximaldauer von zehn Jahren ins Unbestimmte entfristete. Das lief auf eine in einem Rechtsstaat verbotene rückwirkende Strafe hinaus.

Entschuldigt hat sich niemand. Im Gegenteil. Als vier Männer vom Land Baden-Württemberg Entschädigung verlangten, ging das Gerangel los. Der Bund solle zahlen, meinte das Land. Der Bundesgerichtshof nahm das Land in die Pflicht, doch das Problem ist nicht gelöst. Schließlich war es ein Bundesgesetz, das den Männern rechtswidrig ihre Freiheit entzog. Sollen sie auch noch die Parlamentarier verklagen? Es bräuchte einen Rahmen für dies alles. Ein Gesetz, das angemessen wiedergutmacht. Man darf wetten, dass auch der nächste Bundestag alles wichtiger finden wird als dies.

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