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Meinung: Ein Täter im Rampenlicht

Über den Umgang mit dem knappen Gut Aufmerksamkeit Von Wolfgang Thierse

Wenn jemand den Bundeskanzler tätlich angreift, dann ist das unter anderem auch eine Nachricht. Zweifellos.

Was aber dem Herrn widerfährt, der Ende letzter Woche Bundeskanzler Schröder halböffentlich ohrfeigte, ist fast schon eine öffentliche Belobigung. Denn Aufmerksamkeit ist in der Mediengesellschaft ein knappes Gut, eine besonders umkämpfte Ressource. Davon bekommt der Täter mehr als andere zugeteilt und weit mehr auch als der Tat zusteht.

„Bild“ beschäftigt sich tagelang mit dem Mann, dem „Spiegel“ ist er zwei Seiten und eine Inszenierung für „Spiegel TV“ wert, auch die „Süddeutsche Zeitung“ wählt eine „saftige“ Überschrift. Im „Stern“ trägt ein distanzloses und unkommentiertes Interview die Überschrift: „Lieber jetzt ’ne Ohrfeige als später ’ne Bombe“.

Mitglieder des Deutschen Bundestages, die sich redlich, fleißig und seriös um Verbraucherschutz oder Forschungspolitik bemühen, können von so viel überregionaler Aufmerksamkeit nur träumen. Bei manchen wird der „arbeitslose Lehrer“ sogar zum „Robin Hood“ stilisiert.

Noch einmal: die Berichterstattung über den Vorfall muss sein und ein Interesse an der Person des Täters ist verständlich. Aber so viel Aufmerksamkeit transportiert unübersehbar eine andere Botschaft, nämlich: Dass sich Gewalt in der politischen Auseinandersetzung lohnt.

Selbst schuld, wer zu Hause nur schimpft, bescheiden Leserbriefe schreibt, oder sich in einer Partei oder Gewerkschaft engagiert. Ein wichtiger Antrieb für „Stalker“ auf Prominentenjagd und Attentäter – endlich im Rampenlicht der Medienaufmerksamkeit zu stehen – dieser Wunsch hat sich für den Mann aus Geiersnest erfüllt. Ist das für andere nicht eine stille Einladung? Wie viel Gewalt statt Politik soll da zukünftig akzeptiert werden?

Eine Glorifizierung des Schlägers zum Robin Hood aus dem Schwarzwald ist völlig fehl am Platz, ein augenzwinkerndes Verständnis für die „perfekte Ohrfeige“ (Spiegel) ebenso. Die Demokratie ist auf die Auseinandersetzung mit Worten, den Streit der Meinungen über geeignete Wege und Ziele angewiesen. Wo aber Gewalt die Auseinandersetzung mit Worten ablöst, ist die Demokratie in Gefahr. Zum Grundkonsens muss deshalb gehören, dass wer Gewalt anwendet, nicht auch noch dafür belohnt werden darf. Dass sich Medien wie der „Spiegel“, „Bild“ und „Stern“ daran nicht gebunden fühlen, bereitet Sorge. Sorge um die Zivilität unserer politischen Kultur.

Der Autor ist Präsident des Deutschen Bundestages.

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