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Ein Zwischenruf zum …: … Kopftuch

Barbara John über ein Feindbild, das eine furchtbare Eigendynamik entwickelt hat.

Vor 12 Tagen geschah im Dresdner Landgericht ein bestialischer Mord. Das Opfer: die 31 Jahre alte Ägypterin Marwa E., die mit ihrem Mann und ihrem Sohn Mustafa seit vier Jahren in Dresden wohnte. Er ist Doktorand, sie war als Apothekerin tätig. Der Täter: der 28-jährige Russlanddeutsche Axel W., seit sechs Jahren in Deutschland lebend, die meiste Zeit arbeitslos. Das Motiv: Axel W. hasst Muslime. Als er sich wegen beleidigender Äußerungen wie „Islamistin“, „Moslemschlampe“, „Terroristin“ gegenüber der jungen Frau vor Gericht erneut verantworten soll – der Staatsanwaltschaft war die Geldstrafe von 780 Euro zu mild –, ersticht er die Schwangere, fügt dem Ehemann, der sie schützen will, schwere Verletzungen zu. Der Dreijährige muss zusehen, wie seine Mutter, auf ihn fallend, stirbt.

Religionszugehörigkeit als Auslöser eines grausamen Verbrechens? Wie lange ist das her in Deutschland? Ja, der Täter war ein Einzelner! Aber das Merkmal, das mit diesem Mord in Zusammenhang steht, das hat viele in jüngster Zeit provoziert. Es ist das Kopftuch, das Frau E. trug; es machte sie als gläubige Muslimin sichtbar. Deshalb wurde sie die Erste und – Gott helfe uns – die Letzte, die deshalb in Deutschland sterben musste.

Die Untat zwingt, sich die deutsche Diskussion über das Kopftuchtragen wieder vor Augen zu halten. Es war von Anfang an eine brutale, eine feindselige, eine hysterische Debatte. Sie gipfelte in politischen Erklärungen von Ministern, von Frauenrechtlerinnen, von Migrantenfunktionären, Kopftücher seien eine „militante Kampfansage an die Gesellschaft“. Der vergiftende Satz „alle Islamistinnen tragen Kopftücher“ machte die Runde: Im alltäglichen Zusammenleben wurden Auswirkungen bald spürbar. Kopftuchträgerinnen wurden in Bussen oder in der U-Bahn begrüßt mit: „Hau ab, du Scheiß-Terroristin.“ Sie mussten erleben, dass ihre Bewerbung als Kassiererin, als Änderungsschneiderin, als Sprechstundenhilfe, auch als Ärztin abgelehnt wurde mit der Begründung, ihre Kleidung sei eine Provokation für die Kunden.

Jedes Feindbild entwickelt Eigendynamik. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die öffentliche Raserei über das Kopftuch einen Henker fand. Wir brauchen einen Sinneswandel: Niemand, der es bisher anders gesehen hat, muss das Tragen von Kopftüchern gutheißen. Aber sind wir nicht alle in der Pflicht, Kopftuchträgerinnen vor jeder Brandmarkung, Diskriminierung und moralischen Schmähung zu schützen?

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