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Ein Zwischenruf zur…: …Nachhaltigkeit

Ursula Weidenfeld über Mutmaßungen, Vorurteile und Irrtümer, wenn es um Ökobilanzen geht.

Nachhaltig leben – das ist meist eine Haltung, kombiniert mit einem Vorwurf: Ich selbst lebe nachhaltig, aber ich kenne viele Menschen, die das nicht tun. SUV-Autos fahren. Tiefkühlsachen kaufen. Menschen, die ich noch nie auf dem Biomarkt gesehen habe, obwohl sie es sich leisten könnten. Nachhaltig leben – das ist meist ein Statement mit einem Bezug zu anderen, die es anders machen. Nehmen wir die Mittvierzigerin, in einer der bürgerlichen Gegenden der Stadt zu Hause, mit Hund, ohne Auto. Sie kauft auf dem Biomarkt ein, klar. Ist diese Frau umweltbewusst, nachhaltig und verantwortungsbewusst? Ja klar, möchte man ausrufen, hier ist das gute Gewissen zu Hause.

Nehmen wir dagegen den Familienvater, zwei Kinder, spritfressendes SUV-Auto, Vorstadtbewohner. Der Mann, der die tiefgekühlte Pizza öfter im Einkaufswagen hat als den Kürbis, den giftig grünen Granny Smith aus Australien lieber als den Boskop aus Werder. Der mit dem Auto überallhin fährt. Der Mann hat entweder keine Zeit oder kein Gewissen, wahrscheinlich fehlt ihm beides.

Aber: Ist die Umweltbilanz der vierköpfigen Familie wirklich so schlecht? Ein mittelgroßer Hund, so haben neuseeländische Forscher vorgerechnet, verursacht in seinem Leben genauso viel Kohlendioxid wie ein Toyota Landcruiser. Alleinlebende in großzügigen Wohnungen heizen mehr, brauchen pro Kopf mehr Wasser und Strom als die vierköpfige Familie. Und: Sie schmeißen mehr weg. Einer der größten Ressourcenvernichter im Haushalt sind die Dinge, die ungegessen in den Mülleimer wandern. Da verbraucht man, um sie herzustellen, Rohstoffe, Energie und Wasser ohne Ende. Und dann verrotten sie im Kühlschrank des Single-Haushalts, weil es am Ende doch Sushi gibt. Stimmt wenigstens die Bilanz der Frucht aller Früchte? Auch nicht immer. Der heimische Apfel vom Biomarkt sieht nur bis zum Frühjahr besser aus als der Überseeapfel. Danach braucht man so viel Energie, um den Apfel kühl und frisch zu halten, dass es umwelttechnisch besser ist, ihn zu importieren.

Das ist die Frucht der Erkenntnis: Die Haltung der bekennenden nachhaltig Lebenden zur Nachhaltigkeit muss neu bedacht werden. Wenn sie den Hund behalten will, sollte sie den Umzug in eine Wohngemeinschaft prüfen.

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