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Meinung: Eine gute Schule ist kein weißer Wal

Roger Boyes, The Times

Das größte Vergnügen als Kind war es, oben in der ersten Reihe eines Doppeldeckerbusses zu sitzen und zu beobachten, wie die Äste gegen die Frontscheibe klatschten. Man kam sich vor wie Kapitän Ahab auf der Jagd nach Moby Dick, am Ruder eines Schiffes durch die Wellen brechend.

Diese besten Plätze waren, wieder einmal im M19er, durch einige Elfjährige in Beschlag genommen, also setzte ich mich in die Reihe dahinter. Links tauschten zwei Jungs Panini-WM-Bilder und stritten sich um Wayne Rooney, den englischen Stürmer mit dem Gesicht eines Strafgefangenen. Rechts saßen zwei Mädchen, die ihre Hausaufgaben machten. Soweit ich es mitbekommen habe, ging es um ein 250 Jahre altes österreichisches Genie.

„Mozart?“, fragte einer der Jungen, „für wen spielt der?“

Ich habe laut gelacht, der Witz war nicht schlecht. Aber es war kein Witz: Der Junge wusste wirklich nicht, wer Mozart ist. Danach habe ich mich ein bisschen umgehört. Musikunterricht ist eines der Hauptopfer des Lehrermangels an Berliner Schulen – neben Englisch und Mathematik: beides Fächer, für die ein intensiver, kontinuierlicher Unterricht notwendig ist.

Ich bin wahrlich kein Ordnungsfreak (fragen Sie meine Putzfrau, schauen Sie sich mein Büro an). Bei uns fehlten auch Lehrer, als ich in den 60ern in die Schule ging, und wir haben auch überlebt. Manchmal war das sogar ein Vorteil: Die Schule war gezwungen zu improvisieren. Schulen müssen nicht nach dem gleichen Prinzip funktionieren wie der Schweizer Zugfahrplan.

Aber manches geht dann doch zu weit. Erziehungsstandards fallen in Berlin, aus Gründen, die leicht durch intelligentes Management aus der Welt zu schaffen wären. Es wird viel zu viel über Problemkieze und Problemschulen geredet, als ob es in Berlin nur um die Frage ginge, wie man Immigrantenkinder integriert. Spricht man mit den Schülern dieser Schulen, stellt man fest, dass die unterschiedlichen Krisen – mangelnde Spielplatzdisziplin, unmotivierte Schüler, schlechte Pisa-Ergebnisse und ein erschreckend geringer Respekt vor Autorität – ihre Ursache im Lehrermangel haben. Jener Lehrermangel, von dem nicht nur die schwierigen Kieze betroffen sind, sondern die gesamte Stadt. In der vergangenen Woche kamen Beschwerden von Eltern aus Tempelhof-Schöneberg und Frohnau. In vielen anderen Bezirken geht die Angst um, dass nach den Ferien die Klassenzimmer leer bleiben – weil Lehrer fehlen. Berlin kann den Problembären als Wappentier einsetzen; ich kann nur hoffen, dass es mehr Glück hat als Bruno.

Eine Mutter erzählte mir, dass ihr Kind, in der entscheidenden sechsten Klasse, ein Jahr lang keinen Englischunterricht hatte. Der Englischlehrer musste Deutsch unterrichten, um eine Lücke zu füllen. Was für eine Botschaft ist das: Sprachunterricht findet nicht mehr statt, weil der Senat das System von Angebot und Nachfrage nicht versteht?

Denn natürlich ist es alles auf ein Versagen des Senats zurückzuführen. Die meisten Schulen wussten schon im Februar, spätestens zu Ostern, wie viele Schüler im Herbst anrücken würden. Die Unsicherheit in Berlin vertreibt kompetente Lehrer nach Hamburg oder NRW, wo man ihnen sofort Angebote macht. In Berlin wird aufstrebenden Lehrern bedeutet, sich im Juli telefonisch erreichbar zu halten, damit man sie informieren kann, ob und wo sie im August unterrichten sollen.

Das ist Schlamperei. Berlin wird seinen Kindern nicht gerecht. Die Erfahrung zeigt, dass man die Berliner Bürokratie nur bewegen kann, wenn man sie vorführt. Bei den Eltern der Hausotter-Gundschule in Reinickendorf hat das funktioniert; die sind im vergangenen Jahr in eine Kneipe umgezogen und haben den Unterricht dort abgehalten. Kaum waren ein paar Artikel darüber erschienen, gab es plötzlich auch Lehrer. Dafür leiden jetzt die Schulen, von denen die Lehrer kamen, Mangel.

Bald wird gewählt, also kann diese Methode wieder gut angewendet werden. Klaus Böger ist einer der besten politischen Köpfe im Senat (keine große Errungenschaft), und vielleicht kann er rechtzeitig vor Schulbeginn ein Wunder möglich machen.

Das Grundproblem bleibt jedoch: Klaus Wowereit sollte Berlin als die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands präsentieren, als Ort der Zukunft. Stattdessen tut er nichts gegen dieses Ausmaß an bürokratischer Ineffizienz, die vor allem die Kinder in Mitleidenschaft zieht. Im 19. Jahrhundert war der Ingenieur der moderne Held. Im 21. sollte es der Grundschullehrer sein. Der Regierende Bürgermeister sollte seine Prioritätenliste überdenken.

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