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Meinung: Einen Gang zurück

Die FDP hat erkannt, dass sie auch die Reformunwilligen mitnehmen muss

Die Volksparteien kämpfen um Profil, Umfragen bescheinigen den Deutschen, ziemlich links zu stehen. Da kann man ja mal nach der FDP fragen. Denn rechnerisch ist Schwarz-Gelb noch immer eine wahrscheinliche Variante für die nächste Bundestagswahl. Es sei denn, die FDP schadet sich wieder einmal selbst.

Auch das ist nicht ganz unwahrscheinlich, nimmt man die zurückliegenden Jahre als Maßstab: Besserverdienerpartei, Spaßpartei, Protestpartei – drei Schlagworte, die der FDP zum Image gerieten. Doch täuschen sie darüber hinweg, dass der größte Irrtum der Partei im absoluten Anspruch auf die richtige Meinung, ja fehlerlose Deutung der politischen Verhältnisse liegt. Die FDP neigt immer auch zur Besserwisserpartei. Im Jahr 2000 wähnte Guido Westerwelle „den Zeitgeist auf unserer Seite“. Der sah so aus: „Der Geist der Zeit ist ein Wandel der Werte. Ist eine neue Haltung zum Leben. Ist eine Revolution der Einstellungen.“ Westerwelle glaubte, die Menschen seien bereit für radikale Reformen, für mehr Verantwortung und weniger Staat, er meinte, „Deutschland entwickelt sich wieder zu einem Drei-Parteien-System; und wir sind dabei“.

Es ist anders gekommen. Aber noch immer lässt sich das liberale Programm auf den Slogan Freiheit durch Verantwortung reduzieren. Daran ist auch nichts verkehrt, es ist ein wirklich liberaler Ansatz, so wie das Leistungsprinzip, auf das er anspielt, sozial motiviert ist. Es ist zunächst nichts Falsches daran zu betonen, dass sich Leistung für die lohnen muss, die Leistung erbringen wollen, weil sonst nicht das erwirtschaftet wird, was die Bedürftigen brauchen.Was die FDP bisher aber nie ausreichend berücksichtigt hat, ist die Angst vieler Leistungswilligen, vor allem aber der Bedürftigen und dann eben der Unwilligen vor mehr Verantwortung, weniger Staat und Leistungsdruck.

Westerwelle spricht nun vom Sozialen als der „Hinwendung des Menschen zum Menschen“ – eine Chiffre für mehr eigene Verantwortung, die „Nächstenliebe als staatliche Dienstleistung“ ersetzen soll. Schnell wird zur gleichsam mathematischen Formel, dass daraus zwingend mehr Chancen folgen. Nur ist es so, dass Menschen sich nur schon von dieser Überzeugung überfordert fühlen können. Das kommt der FDP erst langsam in den Sinn: durch, überraschenderweise, die Jüngeren. Vor allem sie drängen die Partei, sich mit den sozialen Ängsten der Menschen zu beschäftigen und die FDP programmatisch wieder zu erweitern.

Umwelt, Soziales, Bürgerrechte, Stadtpolitik werden betont. Es geht nicht mehr nur um radikale Reformen der Renten und des Arbeitsmarkts oder Steuersenkung. Das Bürgergeld etwa ist auch ein Angebot an Bedürftige. Marktwirtschaftlicher Reformeifer und soziale Verantwortung kommen so eher ins Gleichgewicht. Ein größeres Maß an Ausgeglichenheit ist wiederum Voraussetzung dafür, dass sich die FDP auf die „Leistungsbereiten“ konzentrieren kann. Dann ergibt der Begriff von der „vergessenen Mitte“ Sinn: weil damit auch die Friseurin oder der Lokführer gemeint sind, nicht bloß Besserverdiener. Westerwelles Pathos für den Wandel der Werte und die Revolution der Einstellungen kann nur dann nicht verwechselt werden mit kühlem Anspruch an den Einzelnen.

Bleibt die Frage der Glaubwürdigkeit. Der Ton der Rechthaberei ist leiser geworden in der FDP. Schrill bleibt aber manches, zum Beispiel in der Abwehr des „Sozialismus“. Nur wird das ohne Anerkenntnis der Realität auch nicht gelingen. Westerwelle übt sich jetzt öfter darin, weil er weiß: 2009 ist die FDP zehn Jahre in der Opposition. Es gibt bessere Jubiläen. Auch für ihn.

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