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Schwere Entscheidung: Einschläfern oder nicht?

© Mühling

Einschläferungen: Ab wann ist Leid bei Tieren unzumutbar?

"Welche Kriterien müssen bei Einschläferungen erfüllt sein?" fragte eine Tagesspiegel-Leserin. Hier antwortet ihr Heidemarie Ratsch von der Tierärztekammer Berlin und sagt: Es kommt immer auf den Einzelfall an.

Am 31. August berichtete der Tagesspiegel über den Fall eines alten Hundes, der vom Veterinäramt Pankow seiner Besitzerin weggenommen werden soll, um eingeschläfert zu werden, wogegen diese sich juristisch wehrt. Unsere Leserin Frigga Wiese, Tierärztin in Berlin, schickte uns daraufhin einen Leserbrief mit folgender Frage:

"Im deutschen Tierschutzgesetz ist das Töten von Tieren bewusst als Kann-Formulierung geregelt, um moralisch aufgeheizte Diskussionen und unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Ein Gesamtzustand eines unbedingt zu tötenden Tieres lässt sich nicht eindeutig und juristisch korrekt definieren. Es werden immer subjektive „Einzelmeinungen“ von Menschen sein, die das Tier beurteilen – egal ob diese Tierhalter, Tierarzt oder Amtsträger sind. Die Kernfragen in diesem komplexen Thema sind: Ab wann ist Leid unzumutbar? Und: Kann es überhaupt eine Person geben, die über die notwendige Kompetenz verfügt, dies sicher zu beurteilen?"

Wir haben als Expertin die Präsidentin der Berliner Tierärztekammer, Frau Dr. Heidemarie Ratsch, um Rat gebeten. Hier ihre Antwort:

Dr. Heidemarie Ratsch, Präsidentin der Tierärztekammer Berlin.
Dr. Heidemarie Ratsch, Präsidentin der Tierärztekammer Berlin.

© privat

Die im Leserinnenbrief aufgeworfenen Fragen „Wann ist Leid unzumutbar?“ und „Kann es eine Person geben, die dies sicher beurteilen kann?“ bewegen neben Tierärzten auch Philosophen und Juristen. Das Deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) schreibt im § 1 Satz 2 vor, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Strafbar macht sich, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt, aber strafbar macht sich auch, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet (§ 17 TierSchG). Der für Tierschutz zuständigen Behörde wird im

§ 16a TierSchG zugestanden, dass sie ein Tier unter Vermeidung von Schmerzen töten lassen kann, wenn das Tier nach dem Urteil des beamteten Tierarztes nur unter nicht behebbaren erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden weiterleben kann. Der Schutz eines Tieres vor Schmerzen, Leiden und Schäden wird grundsätzlich höher bewertet als der Schutz seines Lebens.

Warum und wann ein vernünftiger Grund zur Tötung eines Tieres vorliegt, ist die zentrale Frage bei dieser Entscheidung. Dies bleibt unaufhebbar eine Einzelfallentscheidung. Es steht nach meiner Ansicht außer Frage, dass Tierärzte aufgrund ihrer klinischen Erfahrung die erforderliche Kompetenz besitzen zu beurteilen, ob Schmerzen, Leiden oder Schäden erstens nicht behebbar und zweitens erheblich sind. Der Tierarzt ermittelt den Sachverhalt, stellt die Prognose und erörtert mit dem Tierhalter die Handlungsoptionen. Ohne Frage spielt der Einsatz des Tierhalters für sein Tier eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, ob noch Behandlungsoptionen umgesetzt werden können, die ein Weiterleben des Tieres ohne unnötige Schmerzen und Leiden ermöglichen. Das gilt insbesondere, wenn über eine palliative Behandlung im Falle eines alten, kranken Tieres nachgedacht wird. Der Tierarzt muss deshalb auch entscheiden, ob er dem Tierhalter zutraut, die vorgesehene Behandlung zum Wohle des Tieres konsequent durchzuführen. Neben der tiermedizinischen Kompetenz erfordert das eine hohe Sozialkompetenz. Einerseits müssen die Möglichkeiten des Tierhalters eingeschätzt werden können. Ist er zuverlässig? Welches Engagement bringt er auf? Stellt er ausreichend Zeit und Energie zur Verfügung? Wird er mit der psychischen Belastung zurechtkommen? Mit anderen Worten, was ist dem Halter zumutbar? Andererseits muss die Behandlung geeignet sein, dem betroffenen Tier ein Weiterleben ohne (erhebliche) Schmerzen und Leiden zu ermöglichen.

Es gibt hier zwei Konfliktsituationen. Der Tierhalter möchte sein krankes Tier einschläfern lassen, der Tierarzt stellt aber die Prognose, dass das Tier mit einer angemessenen Behandlung durchaus noch gut weiterleben oder sogar geheilt werden könnte. Es ist ganz klar, dass allein auf Wunsch des Tierhalters eine Lebensverkürzung seines Tieres abzulehnen ist.

Oder der Tierhalter will nicht wahrhaben, dass seinem Tier nicht mehr zu helfen ist und jeder weitere Behandlungsversuch die Schmerzen und Leiden des Tieres nur unnötig verlängern würde. Liegen in letzterem Fall unter Berücksichtigung palliativer Möglichkeiten bei dem Tier nicht behebbare, länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden vor, muss der Tierarzt den Tierhalter darauf hinweisen, dass er wegen seiner Verantwortung für das Wohlbefinden des Tieres verpflichtet sei, einer Tötung zuzustimmen. Im Extremfall gebietet es das tierärztliche Berufsethos, eine Euthanasie durchzusetzen, ggf. mit amtstierärztlicher Hilfe.

Es besteht bei den Tierärztinnen und Tierärzten ein großes Interesse an Fortbildungen zu diesem Thema. Entsprechende Veranstaltungen der Berliner Tierärztekammer 2011 (Behandeln um jeden Preis?) und 2013 (Euthanasie von Heimtieren) waren sehr gefragt. Am Ethikzentrum Jena soll eine Leitlinie zur Euthanasie von Heim- und Kleintieren entwickelt werden. Dabei geht es nicht um konkrete Vorgaben für den Einzelfall, sondern das eigene moralische Urteil soll gestärkt werden. Die Förderung der tierärztlichen Kompetenz in diesem Bereich dient dazu, wie von der Leserin gefordert, „moralisch aufgeheizte Diskussionen und unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden“.

Heidemarie Ratsch

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