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US-Präsident Barack Obama.

© AFP

Eintreten für die Homo-Ehe: Obama stellt sich dem Kulturkampf

Was für ein Paukenschlag mitten im Wahljahr! Der US-Präsident gibt seine weltanschauliche Vorsicht auf und erklärt sich zum Befürworter der Ehe für Homosexuelle. Das ist ein historischer Einschnitt – mit möglicherweise wahlentscheidenden Folgen.

Barack Obama zeigt eine neue Seite. Er kandidiert nicht mehr wie 2008 als der nette Versöhner, der den gesellschaftlichen Streitthemen aus dem Weg geht oder sie mit einem watteweichen Kompromiss überdeckt. 2012 stellt er sich dem Kulturkampf, den die Konservativen dem Land seit längerem aufzuzwingen versuchen. Parallel intoniert er die Auseinandersetzung um die Steuergerechtigkeit und die Zukunft des Sozialstaats unverhohlen als Klassenkampf.

Obamas Parteinahme für die Homo-Ehe ist riskant, aber folgerichtig. Riskant, weil diese Frage die USA spaltet und starke Gefühle weckt. Sie mobilisiert nicht etwa nur Schwule und Lesben, die um gleichberechtigte Anerkennung ihrer Lebensweise kämpfen. Sie treibt auch die Gegner in Massen an die Wahlurnen. Im Gesellschaftsbild der Amerikaner spielt die traditionelle Familie eine größere Rolle als in Europa. 2004 haben die Republikaner in elf Staaten Volksabstimmungen zur Verteidigung der klassischen Ehe parallel zur Präsidentenwahl organisiert, um George W. Bush bei der Wiederwahl zu helfen. In 30 der 50 Bundesstaaten gab es Verfassungsänderungen, die die Ehe als Bund zwischen einem Mann und einer Frau definieren. Nur sechs Staaten erlauben heute die gleichgeschlechtliche Eheschließung. Zwölf Staaten nehmen sie selbst nicht vor, erkennen aber Homo-Ehen von anderswo an. In zwei Staaten tobt ein Rechtsstreit. Obama tritt gegen eine mächtige Front an.

Sehen Sie hier den Vorwahlkampf der Republikaner in Bildern:

Folgerichtig ist sein Schritt, weil viele Amerikaner ihre Meinung allmählich ändern. Die klare Ablehnungsmehrheit schrumpft. Seit etwa einem Jahr zeichnet sich in manchen Umfragen eine hauchdünne Mehrheit für die Homo-Ehe ab. Es war klug, dass Obama sich selbst und seinem Volk Zeit gelassen hat für eine langsame Meinungsbildung.

Vor acht Jahren setzte er noch auf eingetragene Partnerschaften für Schwule und Lesben, wollte die Ehe aber unangetastet lassen. Ganz sacht hat er seine Aussagen dazu verändert. Auch heute argumentiert er vor allem mit Empathie: Seine Töchter Malia und Sasha hätten Schulfreunde, die in gleichgeschlechtlichen Ehen aufwachsen – wie solle er ihnen erklären, dass solche Eltern nicht gleichwertig seien?

Obama geht ein Risiko ein

Der öffentliche Meinungsschwenk garantiert freilich nicht, dass die Parteinahme Obama nützen wird. Die Zahl der Homosexuellen, die deshalb für ihn stimmen werden, ist gering. In zwei strategisch wichtigen Gruppen, den Schwarzen und den Latinos, riskiert er Verunsicherung, denn unter ihnen lehnen klare Mehrheiten die Homo-Ehe ab. Er kann nur hoffen, dass sie ihn aus anderen Gründen wählen. Ältere Menschen sind im Zweifel gegen die Anerkennung, jüngere dafür, doch die Senioren wählen in weit größerer Zahl als die junge Generation.

In Bildern: Obamas Rede zur Lage der Nation im Januar 2012:

Falls das Wahlkalkül neben dem Gespräch mit seinen Töchtern und dem Ohr für neue Töne in der Gesellschaft eine Rolle für Obama spielte, dann so: Er kann weder dem Thema ausweichen noch dem Risiko, den Republikanern durch seine Stellungnahme Wähler zuzutreiben. Da ist es besser, offensiv Position zu beziehen und den Zeitpunkt der Auseinandersetzung selbst zu bestimmen.

Nur entschlossene Führung eröffnet ihm die Chance, diesen Kampf um die Herzen der Amerikaner zu gewinnen.

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