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Barbara John, Tagesspiegel-Kolumnistin und frühere Ausländer-Beauftragte des Berliner Senats.

© dpa

Ein Zwischenruf zum NSU-Prozess: Das provokante Verhalten von Beate Zschäpe

Viele Beobachter des NSU-Prozesses fragen sich, warum die betroffenen Familien nicht an jedem Verhandlungstag im Münchner Gericht sitzen. Das ist bei einem solchen Mammutprozess fast unmöglich - es hat aber vielleicht auch etwas mit der Hauptverdächtigen zu tun.

Acht Monate lang wurde bisher in München Gericht gehalten über eine der widerwärtigsten Mordserien in Nachkriegsdeutschland: Neun Einwanderer und eine Polizistin wurden im Zeitraum von sieben Jahren erschossen, mehr als 20 schwer verletzt, von jungen deutschen Rechtsradikalen. Nun geht der Prozess ins zweite Verhandlungsjahr. Oft werde ich als Ombudsfrau der Opfer und Hinterbliebenen gefragt, warum sie, also die betroffenen Familien, nicht an jedem Verhandlungstag im Gerichtssaal sitzen. Sie müssten doch das größte Interesse daran haben, Hintergründe über Täter und Taten aus erster Hand zu erfahren.

Doch das ist unmöglich bei einem Mammutverfahren wie dem NSU-Prozess mit hunderten Verhandlungstagen und unzähligen Zeugen. An drei Tagen wöchentlich anwesend sein, das können nur die beruflich Verpflichteten wie Nebenklägeranwälte und Journalisten. Opfer und Hinterbliebene dagegen arbeiten, studieren, haben Kinder und oft auch kranke und ältere Angehörige, die sie versorgen müssen. Also gar keine Chance, ihr Alltagsleben dem Prozessgeschehen unterzuordnen.

Es gibt noch einen weiteren Grund. Viele Opferangehörige erfahren den Prozess als eine erneute schwere seelische Belastung. Sie erleben das Geschehen im Saal, insbesondere das Verhalten der mutmaßlichen Mittäterin Beate Zschäpe, als unerträglich. Es reißt kaum verheilte Wunden auf. Da die Prozessordnung Angeklagten erlaubt zu schweigen und Zeugen verpflichtet auszusagen, entsteht der Eindruck, die Hauptverdächtige sei außen vor. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die Psyche der Hinterbliebenen. Es passiert beispielsweise, dass Beobachter auf der Tribüne weinen, wenn die Hinterbliebenen als Zeugen unter sichtbaren Qualen aussagen, wie sie ihren ermordeten Angehörigen aufgefunden haben und was ihnen danach bei den Verhören geschah. Die Angeklagte zeigt keinerlei Regung. Verschaffen ihr die Aussagen gar ein Gefühl der Genugtuung? Nicht nur Familienangehörige, auch andere Prozessteilnehmer empfinden es so.

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