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Meinung: Erinnern? Ermuntern!

Warum Deutschland ein Freiheits- und Einheitsdenkmal braucht / Von Richard Schröder

Im Jahr 2000 wurden Franzosen nach den wichtigsten Ereignissen des 20. Jahrhunderts befragt. An erster Stelle nannten sie den ersten bemannten Mondflug, an zweiter Stelle den Fall der Mauer.

Zur selben Zeit wurden Deutsche befragt nach dem prägenden Ereignis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Westdeutsche nannten mehrheitlich die Nazizeit, Ostdeutsche mehrheitlich die deutsche Teilung. Weder in Ost noch in West kam der Mauerfall auf Platz eins. Da stimmt doch was nicht ganz mit uns.

Gegenwärtig wird an einer Gedenkstättenkonzeption gearbeitet. Da geht es um die Nazidiktatur, ihre Opfer und den Widerstand, um die kommunistische Diktatur, die Repression und die Teilung. Dass auch das fröhliche Ende dieser Diktatur dazugehören muss, scheint keinem eingefallen zu sein. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass das Ende der ersten deutschen Diktatur ein Ende mit Schrecken war, damals „Zusammenbruch“ genannt. Da geht es vielen nicht in den Kopf, dass das Ende der zweiten Diktatur ein fröhliches Ende war mit Freudentänzen auf der Mauer.

Wir brauchen ein Denkmal für die Einheit in Freiheit – aus zwei Gründen: zur Erinnerung und zur Ermunterung. Die Frage, was eine Nation ausmache, hat Auguste Renan seinerzeit sehr plausibel beantwortet: die gemeinsame Erinnerung und der Wille zu einer gemeinsamen Zukunft.

Was das Zweite betrifft, so ist der Wille zur Gemeinsamkeit in Deutschland stark. Es gibt bei uns keine separatistischen Tendenzen. Ein Italiener hat bemerkt, die deutsche Einheit sei weiter vorangeschritten als die italienische. Der Wille zur Zukunftsgestaltung dagegen ist in Deutschland schwach. Nach dem neuesten Datenreport des Statistischen Bundesamts sind die Deutschen Europameister im Pessimismus. Auf die Frage, ob sie für die nächsten fünf Jahre eine Verbesserung ihrer Lage erwarten, antwortete 2005 kein europäisches Volk so selten mit ja wie die Deutschen. Das ist doch verrückt. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass sich Deutschland in verzweifelter Lage befände. Wir bilden uns das bloß ein. Das ist aber keineswegs harmlos. Denn Stimmung bestimmt die Spielräume der Politik.

Nun komme ich zu Renans erstem Punkt, der gemeinsamen Erinnerung. Damit haben wir erhebliche Probleme, und zwar genauer drei. Erstens lassen sich vierzig Jahre getrennter Geschichte schwer vereinigen. Dies Problem möchte ich eher niedrig hängen. Das zweite Problem sind die über tausend Jahre deutscher Geschichte vor 1933. Die Nazizeit wirkt wie eine Sichtblende, hinter der man nichts Erfreuliches vermutet. In Wahrheit gibt es in dieser Geschichte wie in der der anderen europäischen Nationen Licht und Schatten und es ist nicht wahr, dass die deutsche Geschichte auf das Jahr 1933 zulaufen musste. Das dritte Problem sind die siebzehn Jahre seit 1989. Wir haben sie gemeinsam erlebt, aber noch nicht eine gemeinsam erzählbare Geschichte daraus gemacht und jedenfalls keine, die uns erfreut und ermuntert. Was wollen wir eigentlich unseren Kindern und Jugendlichen erzählen, die die Jahre 1989 und 1990 nicht erlebt haben? Doch hoffentlich nicht eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen!

Seit dem 3. Oktober 1990 lebt Deutschland zum ersten Mal in seiner Geschichte in allseits anerkannten Grenzen, umgeben von Freunden, vereinigt in der Europäischen Union und verbündet in der Nato. Es gibt keine offene deutsche Frage mehr und keine offenen Rechnungen. Das hat sich bei uns offenbar noch nicht herumgesprochen.

Ich spreche mich für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal aus, das nicht nur 1989/90 thematisiert, sondern auch etwas von der deutschen Freiheitsgeschichte.

Voraussetzung der Demokratie ist der Rechtsstaat. Für dessen Entstehung hat Deutschland einiges beigetragen, nämlich die Rechtsreformen im Geiste der Aufklärung, von denen das Allgemeine Preußische Landrecht nur ein Beispiel ist. Aber auch das Alte Reich hat respektable Institutionen hervorgebracht – das Reichskammergericht, vor dem Untertanen gegen ihre Obrigkeit klagen konnten, und den Reichstag, Vorläufer des Bundesrates, der viele Konflikte gelöst hat.

Zudem haben sich im 19. Jahrhundert die meisten deutschen Staaten Verfassungen gegeben. Die älteste Verfassung ist die Goldene Bulle. Aber auch die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz müssten Erwähnung finden. Und nicht zuletzt gibt es auch eine deutsche Geschichte der Freiheit und der Toleranz, manchmal der unfreiwilligen. Wer in dem einen deutschen Staat in Ungnade fiel, konnte in einem anderen willkommen sein, so etwa Christian Wolff, der bei Strafe des Strangs Halle verlassen musste und in Leipzig, später in Marburg willkommen war, oder Schiller oder die Göttinger Sieben.

Wo soll das Denkmal stehen? Es gibt in Berlin nicht den einen Ort, der für die Einheit in Freiheit steht. Von der Gethsemanekirche gingen die Demonstrationen aus, der Runde Tisch tagte im Bonhoefferhaus, dann im Schloss Schönhausen. Der Beitritt wurde von der Volkskammer auf dem Schlossplatz beschlossen.

Ich empfehle die Schlossfreiheit als Ort, dort wo noch der Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals steht, das ja sozusagen das Einheitsdenkmal des Kaiserreichs war.

Ich finde es ganz in Ordnung, wenn wir diesen Ort „umwidmen“. Statt Einheit von oben, mit Blut und Eisen und in Versailles proklamiert, nun ein Denkmal für die Einheit von unten, ermöglicht durch eine friedliche Revolution und im Einvernehmen mit allen Nachbarn.

Dieses Denkmal würde gut zur Umwidmung des Schlosses zum Humboldt-Forum passen. Dass hier mitten in der Mitte Berlins Deutschland die Weltkulturen präsentiert, finde ich schön. Wenn das aber ganz und gar unpolitisch geschähe, fände ich das suboptimal. Weltoffenheit und Patriotismus passen zusammen. Eines von beiden ohne das andere wäre sogar hochproblematisch.

Ich empfehle, schnell zu beschließen, dass und wo ein solches Denkmal entstehen soll. Dann aber sollten wir uns Zeit lassen für eine breite Diskussion, was zur Darstellung kommen soll und wie, was aus unserer Geschichte wir unserer Freiheitsgeschichte zurechnen wollen.

Wenn das Denkmal vor dem Schloss stehen soll, sollte seine Entstehung mit dem Schlossbau zusammengehen. Warum dann nicht das 25-jährige Jubiläum der Einheit, also 2014/15 ins Auge fassen?

Der Autor ist Theologe an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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