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Meinung: Erinnerungen an einen Vorkrieg

Vom Irak zu Iran? Die Rhetorik der Mahner ähnelt sich. Das lässt die Skepsis wachsen – leider.

Der Ton wird schärfer, fast täglich. Da werden Erinnerungen wach. Hat damals, als es gegen den Irak ging, nicht auch alles ganz ähnlich angefangen? Wieder droht US-Vizepräsident Dick Cheney mit „schwerwiegenden Konsequenzen“. Noch drastischer formuliert es der amerikanische UN-Botschafter John Bolton. Alle Mittel würden die USA nutzen, um ein iranisches Atomprogramm zu verhindern, sagt er. Wenn Teheran sich weiter international isoliere, müsse sich das Land auf „spürbare und schmerzliche Konsequenzen“ einstellen.

Fehlt nur noch ein spektakulärer Auftritt von Außenministerin Condoleezza Rice vor dem UN-Sicherheitsrat, mit Geheimdokumenten und Satellitenbildern, die belegen, dass die Mullahs kurz davor sind, sich eine Atombombe zu basteln. Auch diesmal wird, das steht seit gestern fest, im Sicherheitsrat geredet werden. Und hieß es nicht auch damals, vor dem Irakkrieg, beschwichtigend, die Drohkulisse sei nur notwendig, damit Saddam Hussein einlenke, die Angst vor einem Krieg sei unbegründet? Ja, wir sind gebrannte Kinder. Allzu bekannt klingt die martialische Rhetorik, um ein zweites Mal geglaubt zu werden. Dass die Wahrheit vor dem Irakkrieg schamlos zurechtgebogen wurde, rächt sich jetzt.

Das ist bitter. Ein falscher und völkerrechtswidriger Krieg gegen einen Gegner, von dem keine internationale Bedrohung ausging, erschwert es heute, eine gemeinsame Front gegen Iran aufzubauen, dessen Ambitionen für den Weltfrieden tatsächlich höchst gefährlich sind. Zynisch kommentierte die „New York Times“, die Regierung von Präsident Bush habe mehr für das Anwachsen der iranischen Macht getan, als es die ehrgeizigsten Ajatollahs je vermocht hätten. Teheran werde die Bush-Jahre einst als „goldene Ära“ bewerten.

Immer enger und unheilvoller verknüpfen sich die Entwicklungen im Irak und Iran. Die schiitische Mehrheit im Irak ist zum Faustpfand der Mullahs geworden. Denn die Frage, ob es im Irak zum Bürgerkrieg kommt, wird nicht in Bagdad entschieden, sondern in Teheran. Dagegen kann die US-Regierung, ohnmächtig in ihrem Zorn, nichts tun. Ihre im Irak stationierten Soldaten sind auch Geiseln des iranischen Präsidenten. Wenn Mahmud Ahmadinedschad mit dem Finger schnippt, explodiert das Pulverfass rund um Bagdad so gewaltig, dass die gegenwärtige Anschlagsserie im Nachhinein wie ein Präludium klingen wird.

Drei Faktoren erschweren eine konsequente Anti-Atom-Politik des Westens gegen Iran. Erstens: Streng völkerrechtlich gesehen darf Teheran für die zivile Kernenergienutzung Uran anreichern. Zweitens: Die Glaubwürdigkeit von Bedrohungsanalysen hat durch die Vorgeschichte zum Irakkrieg gelitten. Drittens: Die US-Regierung ist, wegen der Lage im Irak, durch Iran erpressbar.

Umso wichtiger ist das Engagement der Europäer. Zwei der drei Mitglieder des EU-Trios – Deutschland, Frankreich, Großbritannien – haben den Irakkrieg abgelehnt. Das erhöht ihr Gewicht in den Verhandlungen mit Iran. Berlin und Paris müssen in ihrer Rhetorik ausgleichen, was sich London verscherzt hat. Und Washington täte gut daran, weiter im Hintergrund zu bleiben. Das oberste Ziel bleibt, Teheran am Bau von Atomwaffen zu hindern. Damit die Weltöffentlichkeit das akzeptiert, muss sie befähigt werden, Warnungen wieder ernst zu nehmen.

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