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Meinung: Erst mal kein Sturz

Mit dem Irakkrieg hat Blair viel, aber nicht alles riskiert

Während sich Tony Blair gestern am Strand von Barbados abkühlte, begann Lord Hutton im glühenden London mit der Untersuchung des Selbstmords von Dr. David Kelly. Niemand kann voraussehen, was er über den Tod des Waffeninspekteurs zu Tage fördert. Die Zeugenliste ist lang. Auch Tony Blair wird, wenn er ausgeruht aus dem Urlaub kommt, Rede und Antwort stehen. Die britischen Medien werden alles mit peitschenden Schlagzeilen aufbereiten. Und es wird Rücktritte geben. Die Briten werden vielleicht mehr über ihre Regierenden erfahren, als ihnen lieb ist. Kein Zweifel, eine schwere Zeit für den britischen Premier.

Aber wirklich sicher wissen wir nur, dass die Temperaturen kühler sein werden, wenn der akribische Lord gegen Ende des Jahres seinen Bericht vorlegt. Diejenigen, die seit Wochen so tun, als stünde das Ende des britischen Regierungschefs unmittelbar bevor, müssen sich noch ein Weilchen gedulden. Leicht ist hier der Wunsch Vater des Gedankens – und Blair hat sich viele Feinde gemacht: in seiner Partei, in den britischen Medien, auch bei den Kriegsgegnern in den europäischen Nachbarländern.

Doch es gibt gute Gründe, die Kelly-Untersuchung mit etwas mehr neutraler Gelassenheit zu verfolgen. Wenn es um die historische Wahrheit des Irakkriegs geht, dürfte sie sich als Nebenschauplatz herausstellen, auch wenn in der Hitze des Sommerlochs die Irakdebatte mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Ob die Briten Blair den Krieg verzeihen, entscheidet sich in Basra, wo niemand weiß, was den britischen Soldaten noch bevorsteht. Es entscheidet sich bei der Suche nach Saddams Waffen und den Bemühungen, Ordnung im Irak zu schaffen.

Blair hat viel, aber nicht alles mit dem Krieg riskiert. Trotz der Furore um die Massenvernichtungswaffen, trotz des Vertrauensverlusts, den die Kelly-Krise Blair einbrachte – immer noch über die Hälfte der Briten glauben, dass es richtig war, den Krieg zu führen. Der Blick auf die Meinungsumfragen zeigt einen Regierungschef, der fester im Sattel sitzt als die meisten seiner Kollegen. Laut Umfrage der „Times“ liegt er immer noch deutlich vor seinem potenziellen Rivalen – Tory-Führer Iain Duncan Smith. Wäre Unterhauswahl, Blair wäre der strahlende Sieger.

Ausschlaggebend für Blairs Zukunft ist nicht der Irak, sondern seine innenpolitische Bilanz und die Solidarität der Labourgenossen. Am ersten Punkt schneidet Blair besser ab, als man gemeinhin denkt – vor allem, wenn die britische Wirtschaft weiter so viel Wohlgefühl verbreitet. Die Labourlinke mag Heimweh nach ideologisch eindeutigeren Positionen haben. Aber dass ausgerechnet Schatzkanzler Gordon Brown nun als Standartenträger des linken Kollektivismus Blairs Sturz betreiben sollte, ist nüchtern betrachtet, ziemlich lachhaft. Nach Blairs nächstem Wahlsieg, heißt es aus seinem Umfeld, wird die geordnete Stabübergabe an Brown stattfinden – wie von Anfang an geplant. Vielleicht können wir Downing Street zur Abwechslung einmal wirklich etwas glauben.

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