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Kontrapunkt: Es gibt kein Recht auf die Wunschadresse

Die hohen Mieten drängen Berliner an den Rand? Nicht so schlimm, findet Bernd Matthies. Denn wer sagt eigentlich, dass alle das Recht haben, in Mitte, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg zu wohnen?

Ohne Tucholsky ist das Thema schwer zu eröffnen. „Ja, das möchtste“, juxte er 1927, „eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“. Ja, wer möchte das nicht? Heute würde Tucholsky möglicherweise „vorn die Sansibar, hinten der Kollwitzplatz“ schreiben, aber das ändert nichts an der Ausgangssituation: Jede große Stadt der Welt, die abschüssigsten Bananenrepubliken eingeschlossen, hat Gegenden, in denen die Leute besonders gern wohnen würden, wenn sie es sich denn leisten könnten: Manhattan, Belgravia, Außenalster, Schwabing…

Nur können sie das eben nicht, denn es waltet das elementare Marktgesetz von Angebot und Nachfrage. Nie wird eine begehrte Innenstadt groß genug sein, um alle, die dort leben wollen, auch unterzubringen. Weshalb sollte das in Berlin anders sein? Die gegenwärtig sehr aufgeheizte Diskussion ist wohl nur zu verstehen, wenn man sich die Geschichte der geteilten Stadt vergegenwärtigt: Vor dem Mauerfall hatte sich der Westen mit gigantischen Bundeszuschüssen einen aufgeblähten sozialen Wohnungsbau ohne jegliche Kostenkontrolle geleistet; ähnliches galt, streng planwirtschaftlich, für Ost-Berlin und die DDR.

Wohnraum ist also genug da, und was damals an Neubauten entstand, war auch noch begehrt, die Menschen wohnten gern in der Gropiusstadt oder in Marzahn. Die (für den Mieter) billige Wohnung, traumschön finanziert mit Steuergeld, ist in die Berliner Gene eingeschrieben; deshalb ist auch der Eigentumsanteil immer noch so seltsam niedrig. 

Aus bekannten Gründen ist so etwas heute nicht mehr finanzierbar. Und aus ebenso bekannten Modegründen wollen im Moment alle nach Prenzlauer Berg ziehen oder nach Kreuzkölln oder Mitte – oder, wenn sie schon dort sind, bis an ihr Lebensende wohnen bleiben. Aber: siehe Tucholsky. Es gibt, natürlich, das Recht auf menschenwürdigen Wohnraum, aber es gibt kein Recht auf eine Wunschadresse mit Espressobar und Kindergarten und U-Bahnanschluss, schon gar nicht, wenn der Staat die Miete bezahlt.

Die Debatte wirkt vor allem angesichts des Berliner Mietniveaus ziemlich absurd. Gut fünf Euro im Durchschnitt, das ist halb so hoch wie in München, weit entfernt von Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, selbst Dresden ist teurer. Ja, die Berliner Mieten steigen, aber das, was so gern als „Explosion“ dramatisiert wird (zum Beispiel von den Gewerkschaften, die nur noch ungern daran erinnert werden, dass sie einst ihre „Neue Heimat“ an einen Bäckermeister verschenkt haben), das ist ein Vorgang der Normalisierung, und es wäre absurd, hier mit Steuermitteln gegenzuhalten.

Das kapitalste Gegenargument lautet selbstverständlich, die Abwanderung sozial schwacher Mieter nach außen fördere die Ghettoisierung. Die Pariser Außenbezirke! Wäre das so, müsste München allerdings schon seit Jahren lichterloh brennen, und die New Yorker Bronx wäre so unbewohnbar wie der Mond. Beides ist bekanntlich nicht der Fall, und die zahlreichen soziologischen Besonderheiten und stadtplanerischen Fehler von Paris geben auch keine sinnvolle Analogie her. Hier werden Schreckgespenste konstruiert, die mit der deutschen Realität nicht das Geringste zu tun haben.

Natürlich ist es richtig, dass der Staat gesetzlich regulierend auf die Mieten einwirkt. Der Mietspiegel ist ein Instrument, das immer so gut ist, wie es Lage und politischer Willen hergeben; über die Einzelheiten lässt sich jederzeit diskutieren. Aber noch mehr Steuergeld fürs Glückswohnen nach Wunsch kann unmöglich die Lösung sein. Im Märkischen Viertel haben die Bewohner vorn den Wilhelmsruher Damm und hinten die Lübarser Felder – das ist nicht Tucholskys Traum. Aber eine sehr zumutbare Berliner Realität.

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