zum Hauptinhalt
Der Weg zu vollautomatisierten Grenzkontrollen: Die EU-Kommission plant ein elektronisches Ein- und Ausreisemanagement.

© dpa

EU-Kommission plant "intelligentes" Grenzmanagement: Sicherheit geht vor

Die EU-Kommission plant ein elektronisches Ein- und Ausreisesystem. Doch der Nutzen, die technische Umsetzbarkeit und die Vereinbarkeit mit den Grundrechten sind zweifelhaft, meint Autorin Daniela Kietz.

Die EU-Kommission hat Gesetzentwürfe für ein "intelligentes Grenzmanagement" vorgelegt. Sie leiten einen Quantensprung im Management der Schengen-Außergrenze ein - hin zu EU-weit vollautomatisierten Grenzkontrollen auf Grundlage biometrischer Identifikation und neuester Technologie. Die Kommission knüpft mit dem Vorschlag an die deutliche Verschärfung der Sicherheitsgesetzgebung an, die sich im letzten Jahrzehnt in den einzelnen Mitgliedstaaten und im Rahmen der EU vollzogen hat.

Die europäische Sicherheitsgesetzgebung umfasst bereits jetzt zahlreiche Maßnahmen zur Erfassung und zum Austausch von Daten und Informationen, die dazu beitragen sollen, Terrorismus und schwere Kriminalität zu bekämpfen. Unter anderem wurden dazu nationale Sicherheitsdatenbanken miteinander vernetzt, unterschiedliche, zentralisierte "EU-Informationssysteme" eingerichtet oder erweitert und der Datenaustausch mit Drittstaaten forciert. Schon heute werden damit große Mengen an Informationen, zunehmend auch biometrischer Art wie Fingerabdrücke, DNA, oder Gesichtsgeometrie, systematisch und weitgehend automatisiert erfasst, ausgewertet und über längere Zeit gespeichert. Die grundrechtliche Brisanz dieses Prozesses ist hoch.

Ein elektronisches Ein- und Ausreisesystem

Im Zentrum des neuen Gesetzespaketes steht ein elektronisches Ein- und Ausreisesystem, das in der EU lückenlos alle Ein- und Ausreisenden aus Drittstaaten registriert und überwacht. Neben Ort und Datum des Grenzübertritts sollen eine Reihe persönlicher, teils biometrischer Daten erfasst und in einer zentralen EU-Datei gespeichert werden. Unter anderem soll das System verlässlichere Angaben über Menschen liefern, die länger in der EU verbleiben, als es ihr Aufenthaltstitel erlaubt - so genannte "Overstayers" - und helfen, ihre Anzahl zu reduzieren.

Gleichzeitig soll es einen Beitrag zur Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung leisten und mittelfristig für Strafverfolgungsbehörden geöffnet werden. Auch weil sich die Grenzkontrollen durch den Registrierungsprozess deutlich verlängern würden, soll das Ein- und Ausreisesystem durch ein weiteres System für "registrierte" Reisende ergänzt werden: Danach könnten Reisende, die sich vorab freiwillig und kostenpflichtig einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen, die Schengengrenzen in einem vollautomatisierten Prozess passieren. Auch ihre Daten würden für längere Zeiträume in einer separaten Großdatei gespeichert.

Nutzen, Realisierbarkeit und Grundrechtskonformität sind fragwürdig

Seit Jahren wird das Ein- und Ausreisesystem in europäischen Kreisen diskutiert und ist heftiger Kritik ausgesetzt. Die Kommission versucht dem insbesondere dadurch zu begegnen, dass sie den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden daran knüpft, dass das System nach einer Laufzeit von zwei Jahren evaluiert wird. Sie argumentiert, dass ein Mehrwert in Sachen Sicherheit bislang nicht nachgewiesen sei, der eine umfangreiche Datenerfassung von Drittstaatenangehörigen rechtfertigt. Dies greift jedoch zu kurz, da die anlasslose Speicherung einer Fülle von Daten aus grundrechtlicher Sicht grundsätzlich hochproblematisch ist, wie etwa höchstrichterliche Urteile zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung in den Mitgliedstaaten zeigen.

Die geplante Evaluation ist eine nette Geste gegenüber kritischen Europaparlamentariern und Datenschützern, die in der Sache nicht viel bewirken wird. Für etliche Innenminister, die mit dem Europaparlament über das Gesetzespaket verhandeln, ist der Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die Daten ein primäres Ziel des Ein- und Ausreisesystems. Dies zeigt bereits die Entstehungsgeschichte: Pate stand das Ein- und Ausreisesystem der USA, das im Zuge der Terrorbekämpfung eingerichtet wurde. Dass amerikanische Behörden das eigene System auf Basis von Kosten-Nutzen-Erwägungen mittlerweile hinterfragen, wird ignoriert.

Auch mit Blick auf die migrationspolitischen Ziele sind Nutzen und Effektivität des Systems zweifelhaft. Schön und gut, dass es "Overstayer" erfasst. Allerdings läuft diese Erkenntnis ins Leere, da der Aufenthaltsort dieser Menschen nicht bekannt ist. Das System generiert also interessante Migrationsstatistiken, ohne das eigentliche Problem zu lösen.

Ein nicht nachgewiesener Sicherheitsgewinn und weitgehend wirkungslose Migrationsstatistiken rechtfertigen kaum die erheblichen Kosten für die Einrichtung beider Systeme. Die Kommission schätzt diese auf mehr als eine Milliarde Euro zwischen 2015 und 2020. Zudem bestehen berechtigte Zweifel, ob das Ein- und Ausreisesystem technisch umsetzbar ist. Laut Kommission belief sich die Zahl der Grenzübertritte an der Schengen-Außengrenze 2011 auf 700 Millionen - eine Anzahl, aus der eine enorme Datenmenge für die neuen Systeme resultieren würde.

Aufgrund der zahlreichen See- und Landgrenzen in Europa ist das Projekt technisch schwieriger zu realisieren als in den USA - und selbst dort gibt es bis heute erhebliche Probleme, insbesondere bei der Registrierung der Ausreisenden. Hinzu kommt, dass die EU beim Aufbau von Großdatenbanken alles andere als gute Erfahrungen gemacht hat. So verzögert sich die Inbetriebnahme der zweiten Generation des Schengener Informationssystems auf Grund technischer Probleme bereits seit fast zehn Jahren und ist zu einem beachtlichen Kostenfaktor geworden.

Nationale Parlamente und das Europäisches Parlament sollten die Vorschläge der Kommission einer genauen Prüfung unterziehen. Sicherheit ist ein hohes Gut, aber die nationale und europäische Sicherheitsgesetzgebung müssen grundrechtskonform ausgestaltet sein. Nutzen, Effektivität und Verhältnismäßigkeit sollten verlässlich nachgewiesen sein. In Deutschland wird die nationale Sicherheitsgesetzgebung derzeit durch eine Regierungskommission überprüft. Auch in der EU mehren sich seit langem Stimmen, die fordern, erst einmal die Vielzahl der bereits bestehenden, teils noch sehr jungen Sicherheitsmaßnahmen zu evaluieren, bevor neue Instrumente und Systeme eingerichtet werden. Das Ein- und Ausreisesystem ist ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung.

Daniela Kietz forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur Europäischen Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Daniela Kietz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false