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Am Donnerstag wird im Bundestag über den Euro-Rettungsschirm abgestimmt.

© dpa

Euro-Abstimmung: Volksvertreter in der Defensive

Gegen Griechenland und gegen den Euro wird unverdrossen spekuliert, gewettet, abgestuft und üppig verdient. Aus diesem einzigen und schlechten Grund wäre ein "Ja" des Bundestags am Donnerstag richtig.

Es kann sein, dass der Donnerstag zu einem Triumph für die Bundeskanzlerin wird, wenn sie, was wahrscheinlich ist, die eigene oder gar die Kanzlermehrheit erreicht. Der Jubel der Koalition wäre allerdings ein Höhepunkt einer im Ganzen verlogenen Euro-Rettungsdebatte. Die Volksvertretung kann keine souveräne, sondern muss eine Entscheidung in äußerster Defensive treffen.

Die koalitionäre Dramaturgie überlagert die Sachfragen. Die letzte Stunde der Koalition könnte schlagen, wenn die Bundestagsmehrheit doch nur mit den Stimmen der Opposition zustande kommt. Solche Aufladungen sind auch Hilfsmittel der politischen Führungen in Drucksituationen; die Machträson schlägt zu. In diesem Fall bliebe ein unangenehmer Nachgeschmack. Die Neinsager aus dem schwarz-gelben Lager hatten nicht die Gewissensfreiheit auf ihrer Seite, sondern schnell Feindbildetiketten auf der Stirn.

Doch Europafeinde sind die Schäfflers nicht. Sie beziehen nur einen Standpunkt, der den Prozessen um die Schuldenkrise mehr Rationalität unterstellt als sie verdienen. Dass Griechenland es kaum schaffen kann, ein Schuldenschnitt unvermeidlich ist, dass die Schutzschirme vorwiegend den Banken nützen, das alles stimmt. Wie fragwürdig die Beschwörung des europäischen Erbes von Union und FDP gegen die schwarz-gelben Skeptiker ist, zeigt ein Blick auf die Zeit nach der heutigen Abstimmung. Nicht unwahrscheinlich, dass Merkel und Wolfgang Schäuble alsbald für das plädieren, was ihre Kritiker sofort wollen, den Schuldenschnitt, womöglich die geordnete Insolvenz Griechenlands.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Fragen nach der Abstimmung offen bleiben.

Die Wahrheit ist: Es wird unverdrossen spekuliert, gewettet, abgestuft und üppig verdient, gegen das demokratische Europa, gegen Griechenland, gegen den Euro. Aus diesem einzigen und schlechten Grund ist das milliardenschwere Ja des Bundestags heute richtig. Und wichtig auch als Willenserklärung europäischer Selbstbehauptung. Denn niemand kann für den Fall einer griechischen Staatspleite derzeit die Wiederholung einer „Lehman“-Situation wie 2008 ausschließen – sicher ist nur, dass heute Rettungsaktionen dieser Größenordnung auch für Deutschland ruinös wären.

Merkel muss Zeit kaufen, um die Finanzmärkte in Schach zu halten. Zeit, die nach 2008 vertan wurde, als der Bankenrettung die versprochene Regulierung nicht folgte, nicht die Wiederherstellung der marktwirtschaftlichen Prinzipien von Risiko und Haftung. Und schon gar nicht die des Primats der Politik, an das so viele Bürger nicht mehr glauben, weil anonyme Hedgefonds, Banken und Schattenbanken gewählte Politiker zu Getriebenen anonymer Mächte gemacht haben.

Nüchtern betrachtet stimmt Merkels Bild: Politik als Suche nach dem jeweils nächsten richtigen Schritt im Nebel der Ungewissheiten. Noch mehr aber empört es. Denn sie selbst vernebelt doch, worauf es ankommt. Es ist schwer genug, die europäische Schuldenkrise zu überwinden. Aber nahezu aussichtslos, solange die Staaten Spielball der irrationalen und keinem Gemeinwohl verpflichteten Finanzmärkte bleiben. Der Kampf des Bundestags um seine Rechte ist lobenswert, aber er ist nur der kleine Ausschnitt dieses viel größeren Machtkampfs, der hinter dem Rücken der Öffentlichkeit nicht zu gewinnen ist. Dahinter steht die Frage des 21. Jahrhunderts: Europa in der globalisierten Welt, eine verfasste Demokratie, nicht nur als Wirtschaftsraum, der über Finanzkommissare reguliert wird und nach Merkel-Art irgendwie funktioniert.

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