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Euro-Rettung: Faktor Zeit

Muss Deutschland chinesischer werden? Wie viel parlamentarische Mitsprache kann Europa sich noch leisten?

Muss Deutschland chinesischer werden? Wie viel parlamentarische Mitsprache kann Europa sich noch leisten? Solche Fragen klingen ketzerisch. Und doch beschreiben sie ein Dilemma, das in der Finanz- und Euro-Krise offenkundig geworden ist. Gravierende politische Entscheidungen müssen, um effizient zu sein, schnell getroffen werden. Doch die demokratischen Abstimmungsprozesse dauern lange – sowohl auf nationaler Ebene als auch, noch länger, auf europäischer Ebene. Dringlichkeit und Demokratie sind in ein Spannungsverhältnis geraten.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat soeben die Regierung vor zu großer parlamentarischer Eile bei der Verabschiedung des Euro-Rettungsschirms gewarnt. Der Beratungsbedarf sei groß, die Sorgfaltspflicht bei der Gesetzesprüfung dürfe nicht verletzt werden. Lammert zweifelt folglich daran, dass der Bundestag bis zum 23. September – das ist in knapp sechs Wochen – eine Entscheidung fällen kann. Fast zeitgleich prognostizierte Weltbankchef Robert Zoellick eine weitere Verschärfung der Krise. Die Schuldenkrise im Euro-Raum sei sogar gefährlicher als die in den USA. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble lässt sich mit dem Satz zitieren: „In anderen Teilen der Welt wird genau beobachtet, ob es unseren freiheitlich verfassten Gesellschaften mit unseren zum Teil unvermeidlich langwierigen demokratischen Prozessen gelingt, diese Probleme zu lösen.“ Das ist, in der Tat, derzeit die größte Herausforderung: nicht nur das Richtige zu tun, sondern das Richtige auch möglichst so schnell zu tun, dass es überhaupt wirken kann.

Lammert hat sicher honorige Motive, wenn er die Achtung des Parlaments anmahnt. Doch es wird schwierig in den kommenden Wochen, die Verteidiger der Demokratie von jenen zu trennen, die sich lediglich auf parlamentarische Prozeduren berufen, um den Euro-Rettungsschirm an sich zu kippen. Vielen Unionisten ist unwohl bei dem Thema. Sie spüren, wie unpopulär die Maßnahmen sind. Und die Flucht ins europäische Pathos wie früher üblich („unser Schicksal“) ist ihnen verwehrt. In Deutschland wurde nur selten, auch das eine Folge der Geschichte, wirklich offen über Europa debattiert. Diese Debatte ausgerechnet jetzt nachzuholen, mag notwendig sein, wäre aber höchst riskant.

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