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Meinung: Europa reicht nicht mehr

Neuer Kulturbegriff: Der zukünftige Chef der Preußen-Stiftung steht vor einer Jahrhundertaufgabe

Ein Generationenwechsel steht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) bevor. Am heutigen Freitag bestimmt der Stiftungsrat den künftigen Präsidenten der größten deutschen Kultureinrichtung. Nach der Absprache von Bund und Ländern in der Findungskommission besteht kein Zweifel, dass der neue Chef über 17 Museen, zwei Staatsbibliotheken und eine Reihe weiterer Institutionen Hermann Parzinger heißen wird, derzeit noch Leiter des nicht minder renommierten Deutschen Archäologischen Instituts. Der 48-jährige Münchner, ein ebenso gestandener Wissenschaftler wie Organisator, wird im Februar den dann 68-jährigen Klaus-Dieter Lehmann ablösen.

Der Wechsel ist nicht nur personeller Natur. Eine Neuorientierung der Preußen-Stiftung steht bevor. Parzingers Wahl unterstreicht, dass die Zeit des Zusammenwachsens der jahrzehntelang nach Ost- und West-Berlin zerspaltenen Einrichtung wie auch der Rekonstruktion ihrer Stammsitze in Berlin-Mitte zu Ende geht. Jetzt werden die Weichen für die kommenden Jahrzehnte gestellt. Parzingers wissenschaftlicher Werdegang unterstreicht eindrucksvoll, dass die SPK aus ihrem hergebrachten, abendländisch geprägten Fahrwasser ausscheren muss.

Seit der deutschen und speziell Berliner Wiedervereinigung 1990 stand die Bewahrung und Modernisierung des baulichen Erbes im Vordergrund, auf der Museumsinsel wie bei der Staatsbibliothek. Beides bleibt auf Jahre hinaus ein kräftezehrendes Unterfangen. Doch jenseits der akuten Baustellen weitet sich der Horizont: Parzinger wird das geplante Humboldt-Forum zu seiner ureigensten Angelegenheit machen und damit die außereuropäische Dimension, die er selbst in seiner Ausgrabungstätigkeit in Südsibirien eindrucksvoll vorgelebt hat, in den Mittelpunkt künftiger Anstrengungen rücken. Die Dahlemer Sammlungen der Ethnografie müssen aus ihrem Schattendasein herausgeholt werden, so schnell es nur geht. Als Hauptstadt eines auf weltweite Einbindung existenziell angewiesenen Landes kann Berlin nicht länger hinter Paris oder London zurückstehen, wo sich außereuropäisches Kulturbewusstsein längst auf die dortigen Museen richtet.

Damit weitet sich auch die intellektuelle Perspektive: Die Bedeutung des „schönen“ Kunstwerks, der die Häuser auf der Museumsinsel huldigen, nimmt ab – zugunsten der Kulturgeschichte, die die Totalität menschlicher Lebensäußerungen in den Blick nimmt. G8, Migration, Klimawandel – die Stichworte purzeln nur so, die auf eine Dimension jenseits eines eng europäischen Kunst- und Kulturbegriffs verweisen.

Um diese Aufgabe zu meistern, braucht der künftige SPK-Präsident mehr gestalterische Freiheit. Die strenge Kameralistik, in der der Hauptgeldgeber Bund und die eher nur repräsentativ auftretenden 16 Länder die Preußen-Stiftung gefangen halten, ist längst obsolet geworden. Auf Dauer muss ein Globalhaushalt her, der dem Präsidenten die Freiheit der kurzfristigen Mittelzuweisung gewährt – und damit mehr Entscheidungsspielraum. Die Stiftung und mit ihr Berlin haben die einmalige Chance, in die Spitze des globalen Wissens- und Kulturaustausches zu gelangen. Vor Hermann Parzinger liegt eine Jahrhundertaufgabe.

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