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Europavertrag: Mann von Welt – oder Hampelmann?

Am Freitag stimmt der Bundesrat über den Reformvertrag von Lissabon ab. Sollte sich Berlin als einziges Land enthalten, wäre zwar der rot-rote Koalitionsfrieden in der Hauptstadt gerettet - aber um welchen Preis! Berlins Regierender Bürgermeister muss sich entscheiden.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Soll er Ja sagen zu Europa? Das muss für den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit eine Frage der Ehre sein. Am Freitag stimmt der Bundesrat über den mühsam zustande gekommenen Reformvertrag von Lissabon ab. Sollte sich Berlin als einziges Land enthalten, wäre zwar der rot-rote Koalitionsfrieden in der Hauptstadt gerettet – aber um welchen Preis!

Berlin, die Weltstadt, würde sich selber zum Leichtgewicht erklären, auf deren Stimme es nicht ankommt im europäischen Konzert. Ansonsten so stolz auf das internationale Flair zwischen Fernsehturm und Ku’damm, aber nicht in der Lage, sich bei einem außenpolitisch zentralen Thema klar zu positionieren. Wowereit, der viel auf seine Weltläufigkeit gibt, würde sich mit einem Jein im Bundesrat in die preußische Provinz katapultieren. Von einem, der sich so verhält, braucht selbst die eigene Partei in naher Zukunft keine klugen Ratschläge mehr.

Nun sagen die Linken, die in Berlin seit Jahren mitregieren, das sei alles nur Symbolik. Romantisch überfrachtete Bekenntnisse zu Europa brauche heutzutage keiner mehr. Es gehe doch nur um ein juristisch verdrechseltes Mammutwerk, dessen inhaltliche Defizite auch von den Grünen und den SPD-Linken heftig kritisiert worden seien. Alles gar nicht so falsch. Selbst Christdemokraten und Liberale haben das eine und andere Haar in der Suppe gefunden.

Trotzdem kamen alle, außer den Linken (und den Ultrarechten), zu dem Schluss: Dieser Vertrag ist nicht das Beste, was sich denken lässt, aber ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was Europa bisher war. Was Oskar Lafontaine, Lothar Bisky und andere dazu bringt, aus dem Lissabonner Kompromiss ein kriegstreiberisches Dokument des Neoliberalismus zu machen, bleibt ein Geheimnis der Linken. Jedenfalls kann deren kryptische Sicht der Dinge für die Berliner SPD – und deren Vormann Klaus Wowereit – kein Grund sein, sich wegzuducken.

Die Konsequenzen für Rot-Rot, die sich aus einem koalitionspolitisch konträren Bekenntnis zur Europareform ergeben, wären natürlich nicht harmlos. Wowereit hat mit so einem Fall bereits persönliche Erfahrungen gemacht. 2002, als er in der Rolle des Bundesratspräsidenten das brandenburgische Stimmensplitting zum Zuwanderungsgesetz im dringenden Auftrag Gerhard Schröders als Ja interpretierte. Vor dem Bundesverfassungsgericht fiel er damit auf die Nase – und die große Koalition von Manfred Stolpe und Jörg Schönbohm in Potsdam rutschte an den Rand des Abgrunds.

Das könnte, wenn der Regierende Bürgermeister am Freitag persönlichen Mut zeigen sollte, wieder geschehen: Einberufung des Koalitionsausschusses, Sonderparteitage, Drohungen der Linken, die Koalition zu verlassen – in diesem Ansinnen kräftig unterstützt von deren Bundesspitze. Ein Szenario, das nicht übertrieben ist, genau so könnte es kommen. Na und? Entweder macht man gute Politik aus Überzeugung, oder man macht sich zum Hampelmann, an dem jeder mal ziehen darf.

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