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Meinung: Falscher Film

Von Robert Birnbaum

Folter ist ein hartes Wort, ein zu hartes wahrscheinlich, aber darum geht es nicht. Einzelfall ist ein weiches Wort, ein zu weiches sicherlich, aber darum geht es auch nicht. Die FolterÜbung von Coesfeld mag einzigartig sein oder nicht – sie zeigt auf drastische Weise, wohin die Bundeswehr steuern könnte, wenn sie ihre neuen Aufgaben und Aufträge missversteht. Menschenschinder in der Uniform des Ausbilders sind so alt wie das Militär. Rekruten, die aus falscher Scham, falscher Angst, falschem Corpsgeist oder falschem Heldentum klaglos jede Schikane über sich ergehen lassen, wird es auch immer geben. Aber nach allem, was wir über die Vorgänge in den fingierten „Folterkellern“ von Coesfeld wissen, ist ein neues Element hinzugekommen: Die Schinder – und nicht minder die Geschundenen – glaubten sich im Einklang mit der Neuausrichtung der Bundeswehr.

Der Irrtum geht so: Die Armee im Einsatz bildet für den Einsatz aus, und der Einsatz kann im schlimmsten Fall in Geiselhaft führen – wo ist der Unterschied zu früheren Schlachtfeldmanövern mit simulierten Toten und krepierenden Blendgranaten? Es ist viel schwieriger, als es auf den ersten empörten Blick scheint, diese Frage richtig zu beantworten. Mit dem Hinweis auf Ausbildungsordnungen für Rekruten – und die Unterschiede etwa zu Ausbildungsordnungen für Soldaten, die konkret in potenziell gefährliche Einsätze gehen – ist es jedenfalls nicht getan. Auch wenn dieser Unterschied schon groß ist.

Nein, die Militärführung steht noch vor einer viel schwierigeren Aufgabe. Sie muss das Ideal des Staatsbürgers in Uniform von der alten in die neue Bundeswehr retten. Sie muss ihren Führern klar machen, dass die alten Grundsätze weiter gelten, die zu einem Soldaten mit ziviler Gesinnung führen sollen und nicht zu einer Kampfmaschine. Sie muss diesen Ausbildern die Einsicht abverlangen, dass Soldaten, die erniedrigende Behandlung als normalen Bestandteil ihres Berufs empfinden, schlechte Soldaten werden und nicht gute. Sie muss zugleich ihren Rekruten vermitteln, dass sie als Menschen und Charaktere gefordert werden und nicht als gefühl- und gedankenlose Rambos. Und sie muss vor allem zeigen, dass dieser Geist heute viel wichtiger ist als je zuvor. Panzerarmeen aufhalten kann man notfalls mit stumpfen Befehlsempfängern. Frieden in fernen Ländern aufrecht erhalten nicht. Coesfeld ist ein sehr lautes Warnsignal.

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