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Europäische Integration: Feindbild Brüssel

Gestern waren es die "Wahren Finnen", heute sind es die stolzen Dänen, die den Europamotor stottern lassen. Nichts ist derzeit so unpopulär wie die europäische Integration. Europa würde abgewählt werden.

Ließe man deutsche, französische oder holländische Wähler darüber abstimmen, was sie von der Griechenlandhilfe, dem Portugal-Rettungsschirm oder der ständigen Transfer-Union ab 2013 halten, wäre das Ganze wohl schon Geschichte. Doch noch halten sich konkrete Auswirkungen und damit individuelle Wahrnehmbarkeit in Grenzen. Bloß wie lange noch?

Europa war nach dem Krieg ein Projekt der Kriegsverhinderung, des „Nie wieder“ nach zwei selbstzerstörerischen Bruderkriegen. Doch wie so oft in der Politik erweist sich das gut Gemeinte als psychologische Belastung. Denn auch ohne die EU wären die europäischen Staaten heute nicht mehr in der Lage, Krieg gegeneinander zu führen. Ihre Selbstzerstörungskräfte haben sich aus demografischen Gründen erschöpft. Schon deshalb klingen die ewigen Mahnungen europäischer Politiker vor der Wiederkehr friedloser Zeiten hohl. Weder 1914 noch 1939 kehren zurück, wenn Griechenland wieder in Drachmen rechnet oder die Dänen unliebsame Zuzügler herauswinken. Europäische Integration muss sich in Vorteilen für die Menschen manifestieren, nicht im Angstmachen vor fernen Vergangenheiten. Eben daran hapert es, wenn irgendwelche Brüsseler Bürokraten sich Vorschriften über Glühlampen ausdenken.

Es stimmt schon, Integration und Euro haben Deutschland bisher mehr genutzt als geschadet, und selbst die bisherigen Rettungsschirme machen die Vorteile einer gemeinsamen Währung für die deutsche Wirtschaft noch nicht zu Makulatur. Das gilt allerdings nur, solange pragmatisch entschieden wird, was und warum es uns nützt. Das Gerede von den alternativlosen europäischen Einigungsschüben ist dagegen pure Ideologie und Angstmache. Dass eine größere Gemeinsamkeit nicht immer sinnvollere Ergebnisse produziert, erleben wir gerade bei den Reaktionen auf das arabische Aufbegehren. Wer die kraft- und haltlose graue EU-Außenministerin Ashton beobachtet und das Hin und Her zwischen ständigem und alternierendem Ratspräsidenten dürfte kaum geneigt sein, den Nachfahren Kissingers diese Telefonnummern zu geben.

Es ist so: Wenn es ernst wird, sind die Nummern von Sarkozy und Cameron die bessere Wahl. Die europäischen Nationalstaaten mögen in der Welt Amerikas, Russlands, Chinas und Indiens relativ machtlos sein, sie sind – zusammen – noch immer machtvoller als das symbolische Brüssel. Europa ist auch 60 Jahre nach seiner Ausrufung im besten Fall ein funktionierender Staatenbund der jeweils Willigen, im schlechtesten Fall aber ein Feindbild vieler Europäer für Verantwortungslosigkeit, Inkompetenz und Demokratieferne. Die „Wahren Finnen“ und die Dänische Volkspartei könnten daher bald Ableger überall in Europa finden. Die Haltung der europäischen Eliten, das Projekt Europa sei zu wichtig, um es der Wankelmütigkeit der Völker zu überlassen, dürfte dagegen kaum Chancen haben. Auch dieses Projekt ist eben nicht alternativlos.

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