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Fernsehen in der Krise: Gähnen ist kein Programm

Die Krise bei der ARD ist kein Einzelfall. Im Entertainment-Bereich bröckeln allerorten die Quoten. Das Publikum sendet eine eindeutige Botschaft aus. Doch kommt sie auch bei den Machern an?

Die „Titanic“ sinkt. „Gottschalk live“ hat am Donnerstag den tiefsten Tiefstand seit dem Start am 23. Januar erreicht. Nur noch 920 000 Zuschauer wollten die Vorabendshow miterleben. Der einstige „Wetten, dass..?“-Titan mutiert im Vorgarten-Format zum Fernsehzwerg. „Gottschalk live“ ist falsches Fernsehen zum falschen Zeitpunkt mit dem falschen Moderator.

Der frühere Quotenkaiser steht nicht alleine nackt auf weiter Fernsehflur. Sat 1 schmeißt Harald Schmidt raus, Dieter Bohlen ist mit der neunten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ in einer Akzeptanzkrise, genauso Heidi Klum mit ihren „Topmodels“. Im Entertainment-Fernsehen bröckeln allerorten die Quoten. Das Publikum sendet eine eindeutige Botschaft aus: Wir wollen vom Lieblingsmedium besser unterhalten werden. Ein Harald Schmidt ist unfreiwilliger Bannerträger dieser Botschaft. Der will tatsächlich mit Late Night reüssieren. Weder der Weltenerklärer aus dem vergangenen Jahrtausend noch der Sender haben erkannt, dass in über zig Plattformen zum Starttermin der Sat-1-Show längst alles gemeint worden ist. Ein Schmidt, tausend Schmidts, Millionen Schmidts. Social Media kills Late Night.

Bis jetzt war Fernsehschaffen einfach: Die Gewohnheit des Zuschauers wurde zur Gewissheit der Macher. Wir machen heute da weiter, wo wir gestern aufgehört haben. Günther Jauch war seit 1999 als Moderator von „Wer wird Millionär?“ erfolgreich. War? Längst überholt die Konkurrenz das Quiz. Das RTL-Kreuzworträtsel hat einen sagenhaften Quiz-Boom im deutschen Fernsehen ausgelöst. Aber die Masse frisst den Erfinder – und die Nachahmer gleich mit. Eine andere Konjunktur ist ebenfalls in der Krise: Das Publikum lässt sich nicht länger einreden, dass jeder Dilettant im Land ein Superstar ist. Das Fernsehen hat sich seiner eigenen Lüge überführt. Und es muss weitere, offenbar überraschende Lektionen lernen: Der gegenseitige Star-Klau führt nicht automatisch zu erfolgreichen Programmen. Thomas Gottschalk, Johannes B. Kerner oder Harald Schmidt stehen für dieses Billig-Fernsehen aus der Tiefe des Portemonnaies.

Zwar sind die Nutzungsraten für den audiovisuellen Alltags- und Abendbegleiter mit durchschnittlich 225 Minuten pro Tag und Bundesbürger unverändert hoch, allein, die einsetzenden Wanderbewegungen müssen die Senderchefs beunruhigen. Nicht wenige in der jungen Generation halten Youtube für das beste Fernsehen aller Zeiten. Immer verfügbar, kann jedes Bedürfnis im Moment seiner Entstehung befriedigt werden. Die Festplattenrekorder für den individualisierten Konsum laufen heiß, in den Medienmärkten füllen die DVDs mit den Lieblingsserien für ein glückliches Wochenende mehr Regale denn je. Das Publikum ist mobil, die großen Programme wirken festgefahren, einfallslos. Neue Formate, neue Helden braucht das Fernsehland.

Es besteht die zarte Hoffnung, dass aus der Krise der TV-Unterhaltung eine Renaissance erwächst. Jene Renaissance, dass die Kopieranstalt Fernsehen wieder ein Kreativ-Kraftwerk wird. Als sich die Gottschalk-Krise abzeichnete, machten die Einzelkämpfer des Gewerbes, machten die tapferen Dokumentaristen den Vorschlag, dass statt der Show echtes Leben, Menschenfernsehen gezeigt wird. Da lachten die Programmdirektoren laut. Jetzt lachen sie nicht mehr. Das GottschalkBohlenSchmidt-Prinzip ist durch. Die Geduld des Publikums ist kurz. Wer sich vor dem Schirm langweilt, gibt nicht sich, sondern dem Fernsehen die Schuld.

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