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Meinung: Frankfurter Buchmesse: Krieg oder Frieden - wie man es liest

Immer wenn der Herbst der Bücher, die Frankfurter Buchmesse, eröffnet wird, ist von der verbindenden, der völkerverbindenden Kraft des Buches, des geschriebenen und gedruckten Wortes, die Rede - zu Recht. Denn nichts stiftet mehr Zusammenhalt und Zusammenhang, nichts vernetzt und verbindet die Menschen global dringlicher und gründlicher als das Buch.

Immer wenn der Herbst der Bücher, die Frankfurter Buchmesse, eröffnet wird, ist von der verbindenden, der völkerverbindenden Kraft des Buches, des geschriebenen und gedruckten Wortes, die Rede - zu Recht. Denn nichts stiftet mehr Zusammenhalt und Zusammenhang, nichts vernetzt und verbindet die Menschen global dringlicher und gründlicher als das Buch. Wer auf der Buchmesse, immerhin der größten Bücherschau der Welt, erlebt, wie in Konferenzen, Tagungen, Treffen internationale Buchkontakte geknüpft und internationale Rechte ausgehandelt werden (in diesem Jahr beispielsweise die Rechte an Bill Clintons Autobiografie), der weiß, dass es nirgendwo anders einen derartigen Raum, Völker und Kulturen umgreifenden Dialog gibt, wie der, der durch das Buch in Gang gesetzt, am Leben erhalten und befördert wird.

Der Mensch habe Vieles erfahren, seit und weil wir voneinander wissen: So hat es Friedrich Hölderlin beschworen, für den das Gedicht auch "Friedensfeier" war, und auch Deutschlands Buch-Schaffende sind hochgemut, wenn sie jedes Jahr zur Buchmesse auch noch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels stiften. Aber - wir wissen es inzwischen - auch der hat nicht nur Frieden in die internationalen und innerdeutschen Debatten gebracht.

Gerade in diesem Jahr fallen Buchmesse und Krieg wieder zusammen, so dass es schwer fällt, an die friedensstiftende, die Menschen verbindende Kraft des Buchs zu glauben. Gewiss, neben der schrecklichen Sprache der Gewalt und Gegengewalt gibt es nach wie vor den Dialog der Kulturen, ja er wird verstärkt gesucht, wenn er durch Gewalt und Terror bedroht oder außer Kraft gesetzt worden ist. Das Interesse der Lesenden an der Welt des Islam war lange nicht so groß wie heute, wo man aus Büchern Aufklärung und Erklärung sucht. Man könnte und man will hoffen, dass durch Bücher das Verstehen gesucht und gefunden wird, wo Unverständnis zu Hass, Mord und Totschlag führt.

Das klingt gut und ist doch im Augenblick in Gefahr, nur zur gutgemeinten Sonntagspredigt zu verkommen. Denn ein Bild haben wir, neben dem brennenden Inferno der WTC-Türme, neben den Bildern vom Leid der Flüchtlinge, vom nächtlichen gespenstischen Aufblitzen der Raketen auf den Bildschirmen vor Augen: Es ist ein Bild Osama bin Ladens, der sich übrigens inzwischen, mittels einer erneuerten Drohung an Amerikas Zivilisation, unmissverständlich zu seiner Urheberschaft des grässlichen Anschlags bekannt hat. Das Bild zeigt einen gelehrten, belesenen Mann vor einer Bücherwand, der dennoch (oder gerade deshalb?) eine Kalaschnikow auf den Knien liegen hat.

Es ist das Bild des Fanatikers, der zu Allem entschlossen ist und der dabei vor Büchern sitzt. Bücher, so erfahren wir durch dieses Bild, wenn wir es nicht längst wüssten, befördern nicht nur den Dialog und das Verständnis. Sie sind auch Mittel und Wegbereiter des Hasses, des Fanatismus, der Aufwiegelung zum Mord. Die Kultur, so die doppeldeutige Botschaft der Bücher, gebiert auch die Unkultur. Neben der Aufklärung bewirken Bücher auch Verdummung, Verunsicherung, Fanatisierung.

Das geschriebene, das gedruckte Wort hat uns zu zivilisierten Menschen gemacht, es stiftet den sozialen, den humanen Zusammenhang. Deshalb widmen wir die heutige Ausgabe des Tagesspiegel dem Buch und der Buchmesse: mit all der nötigen Nachdenklichkeit, aber auch Unverdrossenheit; Resignation ist nicht geboten, trotz allem nicht. Obwohl das Buch uns auch zeigt, wo das Verstehen aufhört und wo das hassvolle Nicht-Verstehen-Wollen, Nicht-Verstehen-Können gepredigt wird. Bücher, so wissen wir, wollen uns menschlicher macher, Bücher hetzen zur Unmenschlichkeit auf. In der Gleichzeitigkeit der Kulturen, wie sie durch alle Medien verbreitet wird (und das geschriebene Wort ist sogar in den elektronischen Medien im Vormarsch) offenbart sich auch eine erschreckende Zeitverschiebung, die den Hass und das daraus resultierende Auslöschungsprinzip neben die Botschaften der Toleranz stellt. "An sich", heißt es im "Hamlet", ist "nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu". Und Denken, gut wie böse, lernen wir vor allem durch Bücher.

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