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Freie Wähler: Gabriele Pauli, ernst genommen

Die Europawahl hat gezeigt: Auch die Anhängerschaft der Union bröckelt. Warum sich dennoch keine neue Partei formiert, die die Unzufriedenen einsammelt.

Von Robert Birnbaum

W enn es bloß um Gabriele Pauli ginge – geschenkt! Die Frau, die Edmund Stoibers Sturz einleitete, hat sich längst selbst zur Betriebsnudel gemacht, Verkörperung einer Art Ex-und-Hopp-Scheinpolitikertums, dessen Vertreter sich meist durch eine ansehnliche Sammlung von „Ex“ vor ihren Titeln auszeichnen: Ex-Landrätin, Ex-CSU-Politikerin, nunmehr Ex-Abgeordnete der bayerischen Freien Wähler, bald Ex-Vorsitzende einer gescheiterten Bundes-Pauli-Partei.

Wenn es eben bloß um Pauli ginge. Tatsächlich steht aber hinter dem Hinauswurf der Egozentrikerin ein anderes, ernsthaftes Problem: die Frage, warum es in Deutschland keine sechste Partei gibt. Ein Rätsel ist das schon. Die eine der beiden politischen Großkirchen der Republik, die SPD, hat in den letzten Jahrzehnten gleich zwei sektiererische Abspaltungen erlitten: erst die Grünen, dann die Linkspartei. Der Union bröckelt die Anhängerschaft nicht minder ab. Aber die Brösel haben sich nie in einer Alternative zusammengefunden, die über einen regionalen Auftritt hinausgekommen wäre.

Der Fall Pauli ist geradezu die Bestätigung dieses Befunds. Die Freien haben ihr Ex-Europa-Aushängeschild ja nicht abgehängt, weil ihnen jetzt erst aufgefallen wäre, dass die Frau ein bisschen schrill ist. Nein, sie fürchten um ihr Geschäftsmodell. Das magere Abschneiden bei der Europawahl hat ihnen gezeigt, dass ihre Anhänger sehr präzise trennen zwischen guter Arbeit vor Ort – die trauen sie den Unabhängigen als Personen, in Rats- und Kreistagsfraktionen zu – und der „großen“ Politik. Paulis Versuch, eine bundesweite Partei zu gründen, ignoriert dies.

Das war gefährlich. Freie-Wähler-Wähler sind oft Menschen, die Politik besonders ernst nehmen. Dass eine Versammlung begabter Einzelgänger noch keine Partei ergibt, eher sogar das Gegenteil davon, ist ihnen durchaus klar.

Tatsächlich liegt hier einer der Gründe für die anhaltende Nicht- Existenz einer „bürgerlichen“ Abspaltung. Es fehlt nicht nur ein hinreichend charismatischer Anführer. Es fehlt, viel wichtiger, jede Form von Struktur. Die Grünen konnten sich bei ihrer Gründung auf ein Netz von Basisinitiativen bis ins letzte Dorf stützen. Die Linkspartei hat den SED-Apparat geerbt. Auf der anderen Seite ist nichts Vergleichbares in Sicht.

Aber es fehlt bei den Bürgerlichen noch an etwas anderem: am utopischen Überschuss. Bürgerliche träumen nicht von Weltveränderung. Das Pathos der Revolution geht ihnen ab. Sie wollen vernünftig regiert werden; was immer sie unter „vernünftig“ verstehen.

Gleichzeitig schließt die bürgerliche Form der Unzufriedenheit mit den Regierenden ein grundsätzliches Misstrauen gegen Berufspolitik mit ein. Eine andere bürgerliche Partei ist aus dieser Sicht eben nicht mehr als noch eine Partei. Und außerdem – die Sekte, die Abtrünnige der bürgerlichen Großkirche um sich schart, gibt es ja längst. Auch wenn es Guido Westerwelle jetzt bestimmt nicht gerne hört, dass er so etwas wie die Gabriele Pauli der CDU darstellt.

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