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Meinung: Frömmigkeit und Fortschritt

Von Andrea Dernbach

Von Anfang an saß in Wolfgang Schäubles Islamkonferenz zusammen, was man als nicht von vornherein als zusammengehörig vermuten würde: gläubige Muslime und die etwas weniger Gläubigen, Islamgegnerinnen sogar. Die Würdenträger der Mainstreamgesellschaft und die, die immer noch nicht dazugehören. Und Ministerialbeamte für Religiöses neben Intellektuellen wie Navid Kermani, Feridun Zaimoglu und anderen Köpfen, die scharfes Denken und rasches Debattieren gewohnt sind. Während sich die erstgenannten bisher recht gut vertrugen, springen die letztgenannten – man hätte es ahnen können – nun aus dem Anzug: Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtet von Verzweiflungsschreien wie „Bestenfalls Volkshochschulniveau!“ oder „Ein grauenhaftes Gequatsche!“. Zaimoglu hat es satt und will seinen Platz einer emanzipierten Neo-Muslima, vielleicht mit Kopftuch, abtreten.

Das alles ist mehr als gehobener Klatsch, es ist lehrreich: Wenn es stimmt, dass etliche Beamte weder Lust noch Ahnung genug für die Konferenz haben, dann versteht man plötzlich leichter, warum es Muslime so schwer haben, die Rechte zu bekommen, die das Grundgesetz allen Religionsgemeinschaften gibt. Und man ist am Kern eines Konflikts, der sich nicht mehr ignorieren lässt: Ist die Bundesrepublik in Glaubensfragen neutral, oder will sie die Kirchen privilegieren? Die Muslime sind im Begriff, sich so zu organisieren, wie es ins deutsche Recht passt – wird man sie lassen?

Man kann zu den Vorrechten für Religion in Deutschland stehen, wie man mag. Man kann aber nicht zweierlei Maß anlegen wie mit den Kopftuchgesetzen der Länder, die Nonnenhabit und jüdische Kippa erlauben – das Tuch aber verbieten. Solche Gesetze berühren schon die rote Linie. Sie sollte nicht übertreten werden. Und wir sollten uns nichts vormachen: Die Gleichstellung des Islam ist keine Entscheidung zwischen liberaler Moderne und Gottesstaat. Sie wird zeigen, wieviel Pluralismus sich unser Land zutraut. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Frömmigkeit und Fortschritt auch gut miteinander können.

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