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Meinung: Früher oder später

Zur Diskussion um die Früheinschulung Seit 1978 bin ich Grundschullehrerin in Wedding. Seit 2002 (bis 2010) war ich als Lehrervertreterin für den Bezirk Mitte im Landesschulbeirat (LSB).

Zur Diskussion um die Früheinschulung Seit 1978 bin ich Grundschullehrerin in Wedding. Seit 2002 (bis 2010) war ich als Lehrervertreterin für den Bezirk Mitte im Landesschulbeirat (LSB).

In diesen Zeitraum fielen die ganzen tiefgreifenden Veränderungen im Grundschulbereich. Der LSB setzt sich zusammen aus Lehrern, Eltern und Schülern (und weiteren Vertretern) aus den Bezirken, er ist das höchste schulische Gremium der Stadt. Die Senatsverwaltung informiert, und der LSB soll/darf die Verwaltung beraten. Soweit die Theorie - in der Praxis jedoch stieß die Beratung meist auf taube Ohren, und ganz besonders dann, wenn es um wesentliche Dinge ging! Denn dann zog die Senatsverwaltung ihr Ding gnadenlos durch - wider besseres Wissen und den Rat der Praktiker aus dem LSB.

Mit Einführung des neuen Schulgesetzes wurde die Vorklasse abgeschafft. Das gesamte Gremium stellte sich damals einstimmig hinter die anderslautende Formulierung, dass es Schulen unter besonderen Bedingungen weiterhin gestattet werden sollte, Vorklassen einzurichten. Gemeinsamer Tenor war, dass möglichst alle Kinder, besonders aber diejenigen mit sprachlichen, sozialen, motorischen Defiziten vor dem eigentlichen Schulstart in vorschulischen Gruppen in Schulen oder Kitas vorbereitet werden sollten. Dies wurde unter anderem mit dem Argument abgeschmettert, man dürfe die Kinder gar nicht ein Jahr früher einer Einrichtung zuführen. Gleichzeitig wurde die Einschulung der fünfeinhalbjährigen Kinder bereits angedacht und bald darauf auch eingeführt – da ging das plötzlich! Und weil schon damals bekannt war, dass dann noch nicht alle Kinder schulreif sind, wurde einfach das Wort „schulreif“ abgeschafft – nur die damit verbundenen Probleme und Frustrationen für die betroffenen Kinder, aber auch für die Schülergruppen, blieben trotzdem!

Im Protokoll der Februar-Sitzung 2004 steht: „Die Vorklassenleiterinnen arbeiten ... in der Schulanfangsphase ... und bieten qualifizierte Förderung entsprechend ihrer Ausbildung an.“ Was daraus geworden ist, wissen wir alle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es kaum eine ehemalige Vorklassenleiterin in dieser Stadt geben wird, die nicht darunter gelitten hat, plötzlich nicht mehr eigenverantwortlich in der Schuleingangsphase unterrichten zu dürfen – ihrer Ausbildung entsprechend! Von der flächendeckenden, zwangsweisen Einführung gemischter Anfangsklassen hätten wir abgeraten. Untersuchungen, Auswertungen, „Evaluation“ haben wir immer wieder gefordert – das ist bis heute nicht passiert! Wir forderten kleinere Gruppen oder mehr Personal - abgeschmettert, nicht kostenneutral!

Ich habe vom ersten Tag der Vorstellung der jahrgangsübergreifenden Schuleingangsphase an und dann jedes Jahr wieder auf die vermutlich in manchen Bezirken deutlich höhere Anzahl der Verweiler und die damit verbundene Problematik hingewiesen und entsprechende Anfragen gestellt – und bestenfalls hinhaltende Antworten bekommen.

Heike Seifert, Berlin-Reinickendorf

Sie bekämpfen das vorgezogene Einschulungsalter (die sogenannte „Früheinschulung“) im Namen der „überforderten Fünfjährigen“ und verlieren dabei aus dem Blick, worum es hierbei wirklich geht: „Bildungsferne“ Kinder sollen in einer verpflichtenden Struktur mit hohem pädagogischen Niveau lernen.

Eine Abschaffung des vorgezogenen Einschulungsalters würde den weniger privilegierten Kindern unserer Stadt die ihnen zustehende Förderung vorenthalten. Sie würden ihre Zeit nicht nur in überwiegend personell schlecht ausgestatteten Kitas verbringen, sondern gleichzeitig abhängig davon bleiben, ob ihre Eltern sie überhaupt regelmäßig in die Kita bringen. Schlimmstenfalls verstreicht ein weiteres, wertvolles Jahr für ein solches benachteiligtes Kind unter traurigen Bedingungen. Natürlich muss individuell entschieden werden können, ob manche Kinder sich besser in der Kita entwickeln können: Für sie ist die Rückstellung sinnvoll. Gleichzeitig nützt es gar nichts, den „Berliner Vorklassen“ hinterherzutrauern: Für sie galt die Schulpflicht gerade nicht.

Als Argument gegen die Früheinschulung wird die hohe Zahl der „Verweiler“ angegeben, die fälschlicherweise als Sitzenbleiber bezeichnet werden. Jede Lehrerin und jeder Lehrer arbeitet heute mit dem Wissen, dass Kinder in der Eingangsstufe unterschiedliches Lerntempo haben und dass sie deshalb unterschiedlich lange Zeit für die ersten Klassen brauchen. Es gibt also gar keine Sitzenbleiber mehr.

Wir können uns nicht leisten, auch nur eines der benachteiligten Kinder zurückzulassen. Eine Zurücknahme der vorgezogenen Einschulung würde viele Kinder, die darauf angewiesen sind, dass wir uns für sie einsetzen, von entscheidenden Entwicklungsmöglichkeiten fernhalten.

Mareile Frisius-Anft, Berlin-Zehlendorf

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